ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ

Diskussionen zu den antiken Philosophen, ihren Ideen und ihrer Rezeption

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ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ

Beitragvon Brakbekl » Fr 13. Mai 2011, 17:34

Hallo, Fachleute,

in der Formel wird ja Atom ganz anders erklärt, als wir es seit Demokrit gewohnt sind. Mit Sicherheit hat Paulus diese Bedeutung des Begriffes Atom nicht sich erdacht, sondern vorgefunden.
ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ - in ictu oculi

Meine Frage: Gibt es andere Belege, daß der Begriff des Ungeteilten als Zeitspanne begriffen wurde.
Oder hat gar Demokrit selber den Begriff schon dergestalt geprägt?

Danke für die Antwort.
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Re: ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ

Beitragvon Prudentius » Mi 27. Jul 2011, 16:07

Hallo brakbekl,

Bei Aristoteles Phys. 8:8 kommen "atomoi chronoi" vor, kleinste Zeiteinheiten, aber er sagt, dass es diese nicht gäbe.
atomos ist hier Adjektiv, unteilbar,
ob das sonst schon so gebraucht wurde, weiß ich nicht, ich glaube aber, dass der Begriff bei Zenons Paradoxien der Bewegung zugrundeliegt: der fliegende Pfeil steht in jedem Zeitatom still.
Lat. "in-dividuum", das Wort hat eine bedeutende Geschichte.
Beim späten Platon gibt es das Dichotomie-Verfahren, dabei wird die Idee immer weiter aufgespalten, bis es beim "atomon eidos" endet.
atomon ist eigentlich ein metaphysischer Begriff, denn in unserer menschlichen Welt ist alles zusammengesetzt, also auflösbar und vergänglich, das atomon aber ist unvergänglich, ewig, göttlich.

Paulus setzt ja gleich eine erklärende Glosse dazu, offensichtlich war es nötig.

Gruß P.
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Re: ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ

Beitragvon Brakbekl » Mi 27. Jul 2011, 16:42

Danke für die Replik.

Nun, Paulus als "gebildeter Jude" war ja quasi Wissenschaftler. Für ihn war "Atom" wohl schon ein fester Begriff, sonst hätte er vom "unteilbaren Zeitteilchen" oder so gesprochen, wenn atomo dort ein einfaches Adjektiv wäre. Da er es aber erklärt, was es ist, wird dahinter eine genaue Vorstellung sich befunden haben. Auch wenn Aristoteles erklärt, daß es die "kleinsten Zeiteinheiten" nicht gäbe, steht dahinter offensichtlich, daß die Meinung, daß es sie eben gäbe, commune oder doch gegenwärtig war.
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Re: Atom und Individuum

Beitragvon Prudentius » Mi 3. Aug 2011, 16:10

Es tauchte die Frage auf, was die beiden miteinander zu tun haben; ich versuche einfach mal, ein paar Gesichtspunkte aufzuzählen und ein paar Linien zu ziehen.

Drei Punkte sind erwähnenswert:

(1) Die Wortbildung von a-tomos ist leicht zu durchschauen: das Negationspräfix a und der Stamm tom_/tem- schneiden, trennen, teilen; der Stamm ist uns auch in Ana-tomie bekannt.
Berühmt wurde das Wort durch die Atom-Theorie des Demokrit, wonach sich alle Körper aus kleinsten Teilchen, den Atomen zusammensetzen; aber anfangs war die Anwendung noch nicht so beschränkt, "unteilbar" kann ja alles mögliche sein; der Begriff wurde in verschiedenen Disziplinen verwendet, für uns wichtig ist hier die Logik: der Gegensatz zu dem allgemeinen, umfassenden Oberbegriff ist das Spezielle, Besondere, Einmalige, eben das a-tomon in diesem Sinne: das, was sich nicht weiter zergliedern lässt.

(2) Im Mittelalter, bis spätestens 13. Jh., wurden die griechischen Fachtermini ins Lateinische umgesetzt, darunter viele noch heute ganz wichtige, wie Subjekt, Objekt, Substanz, Essenz, Existenz, und so wurde auch aus unserem Atom das Individuum; doch war es als logischer Fachbegriff wenig verbreitet.

(3) Die Neuzeit setzt ein mit einer Verlagerung des Schwerpunktes vom Allgemeinen auf das Einzelne, jetzt beginnt der Aufstieg des Individuums, man nennt ja sogar die Neuzeit das Zeitalter des Individualismus; nur ein paar Beispiele: Luther, da ringt einer ganz persönlich um den richtigen Glauben; in der Philosophie wird das Leitmotiv ausgegeben, das bis heute ein geflügeltes Wort ist: "Cogito, ergo sum" (Descartes), 1. Person Singular, da spricht ein Individuum.
(Nebenbei, für uns vom Lateinforum gesagt: die Neuzeit meldet sich lateinisch zu Wort; das Zitat ist aus dem Buch "Meditationes de prima philosophia", 1644).
Seitdem steht das Individuum im Vordergrund des allgemeinen Interesses.

Liebe Forumsteilnehmer, meldet euch, wenn ich was nicht richtig geschrieben habe oder wenn ihr Fragen habt, es wäre natürlich noch viel Interessantes aufzugreifen,

liebe Grüße P.
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Re: ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ

Beitragvon Brakbekl » Mi 3. Aug 2011, 16:36

Danke Prudentius, Individuum ist zwar interessant, mir ging es aber um die Tradition der Bedeutung "Kleinste Zeiteinheit" für Atom, die bei Individuum mir überhaupt nicht bekannt ist.

"Isidorus dicit: Atomos philosophi dicunt quasdam in mundo minutissimas partes ut uisui non pateant, nec sectionem recipiant. Huc illucque feruntur sicut minutissimi pulueres qui effusi per tenebras radiis solis videntur." Das ist aus "de ratione conputandi" aus Daibhi o Croinin, s. S. 126 "Cumminas letter"

Das Atom als Zeiteinheit hat übrigens bei unterschiedliche Autoren, wie zu vermuten, jeweils andere Längen. Es stellt aber übereinstimmend soetwas wie eine Elementardauer, also eben die kürzest denkbare (evntll meßbare) Zeiteinheit dar. Wann bricht diese Tradition ab?
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