m/n-Mutation vor Konsonant.

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m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » Sa 4. Jun 2011, 19:37

Es erscheint mir wie Mutwilligkeit: Anscheinend hat sich das etymologisch-korrekte "inprimis" zwecks Ausspracheerleichterung zu "imprimis" gewandelt. Auf der anderen Seite wird etymologisch-korrektes "dumtaxat" zu einem "duntaxat". Wie paßt das zusammen?
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » Sa 4. Jun 2011, 22:47

Wenn eines von beiden (m>n od. n>m) die leichtere Aussprache ermöglicht, ist das andere zwangsläufig die erschwerte Aussprache, insofern ist es widersinnig: wer erschwert sich frewillig die Aussprache? Ich nehme an "duntaxat" ist schwerer zu sprechen als "dumtaxat".
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon consus » So 5. Jun 2011, 10:45

Um die hier vorliegenden Probleme exakt zu klären, bedarf es eine Blickes in eine historische Lautlehre des Lateinischen (ich folge hier Max Niedermann, 3. Aufl. Heidelberg 1953, S. 155f.):
com-, in-
vor labialem Verschlusslaut > m: impello;
vor dentalem V. > n: contexo;
vor guttutalem V. > n zur Bezeichnung des gutturalen Nasals (oft mit á¹… wiedergegeben): coá¹…cors (-onc- nasaliert gesprochen wie n in singen, danken); tuá¹…c (< tum + ce), taá¹…quam (< tam + quam) usw.
Wenn man nun zuweilen inpello statt impello liest, so handelt es sich vermutlich um Schreibweisen, die etymologisch bedingt waren, aber nicht die Aussprache wiedergaben.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » So 5. Jun 2011, 11:56

Salve conse. Freue mich über die deine Daten. Wie kommt es nun, daß Georges diese Regeln teilw. mißachtet (tamquam, dumtaxat)?

Was du schreibst sind wissenschaftliche Beobachtungen. Auf der anderen Seite steht die Frage nach der Ursache: das Empfinden erleichterter od. erschwerter Aussprache. Und ist es nicht so, daß man dieses Empfinden in diesem Fall objektiv feststellen kann?

Angenehmeres n ist für mich bei "contexere" und bestimmt bei "tunc". Gar nicht unangenehmer jedoch "tamquam" und "dumtaxat". Allerdings, bei schnellem Sprechen, mag ein "tanquam" und "duntaxat" schneller zu sprechen sein.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon ille ego qui » So 5. Jun 2011, 13:40

salvete,
was du, laptopi, subjektiv zu empfinden scheinst, entspricht nicht den objektiven linguistischen prinzipien der ausspracheerleichterung.
der lautwandel vollzieht sich hier nach relativ allgemeingültigen und in der tat artikulationserleichternden "regeln". n und t sind beide apiko-alveolar. sie werden an der identischen stelle im mund artikuliert. probiere es aus: die stelle, wo sich die zungenspitze (apex) beim artikulieren des n am zahndamm (den Alveolen, lat. "alvéoli") anschmiegt, ist auch ihre, der zungenspitze, ausgangsposition für das t.
hingegen sind m und p beide bilabial.
beobachte mal den aufwand im artikulatorischen apparat, der erfolgen muss, bevor du nach einem m ein t hervorbringen kannst. dann wirst du, denke ich, was die linguistik dazu zu sagen hat, bestätigt finden.
valete.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » So 5. Jun 2011, 14:21

Zur Nachbarschaft mit Dental: warum lauten dann nicht Composita wie circumtendere, circumtrahere, circumtollere auf circun-?

Zur Nachbarschaft mit Guttural: Wenn ein tanquam regelrecht ist, warum wird inquam dann nicht zu "imquam", und wo ist das "imquietus", das "imquirare"?

@ille Ist "Trauntänzer" wirklich einfacher auszusprechen?
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon ille ego qui » So 5. Jun 2011, 14:55

@Ist "Trauntänzer" wirklich einfacher auszusprechen?
ich würde das so empfinden. und jedenfalls verhalten sich sprachen so, als sei es einfacher. evtl. klingt die n-häufung etwas eigenartig ... ( :? ) wie jedenfalls gesagt: das t kann aufs n folgen, ohne das an mund und zunge etwas verändert werden muss.
... natürlich ist die schrift konservativ gegenüber der gesprochenen sprache - und zwar desto stärker, je mehr und häufiger geschrieben wird. (besonders oft gilt das übrigens, wenn durch eine bestimmte schreibung etymologische, morphologische verwandtschaften festgehalten sind.) es ist nicht auszuschließen, dass - besonders in lockerer umgangsrede - "circuntollere" gesagt wurde.
cicero warnt sogar irgendwo ausdrücklich vor solchen assimilationen - anhand eines beispiels, wo durch assimilationen über wortgrenze hin irgendein anzügliches wort rauskommt. leider finde ich die stelle nicht mehr (weiß es jemand? es gingt glaube ich um einen fall wie "cum + ..." > "cun + ..."). dies zeigt jedenfalls, dass auch, wo dies nicht unbedingt verschriftlicht wurde, es zumindest eine tendenz zu solcher assimilation gab.
evtl. können auch solche aspekte eine rolle spielen. häufig verwendetes (gesprochenes!) neigt besonders zur assimilation (imprimis?), selteneres und evtl. höhersprachliches (dumtaxat? - anscheinend weit seltener als duntaxat) verhält sich evtl. in aussprache und auch schrift konservativer.


@ Es erscheint mir wie Mutwilligkeit: Anscheinend hat sich das etymologisch-korrekte "inprimis" zwecks Ausspracheerleichterung zu "imprimis" gewandelt. Auf der anderen Seite wird etymologisch-
korrektes "dumtaxat" zu einem "duntaxat". Wie paßt das zusammen?

noch einmal sei es gesagt: es passt perfekt zusammen. es ist dasselbe phänomen, eins-zu-eins analog. keinen linguisten würde es überraschen.

@ Wenn eines von beiden (m>n od. n>m) die leichtere Aussprache ermöglicht, ist das andere zwangsläufig die erschwerte Aussprache

der lautliche kontext ist zu bedenken.

vale.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon consus » Mo 6. Jun 2011, 12:46

Consus Illi s.d.p.
Scripsisti: cicero warnt sogar irgendwo ausdrücklich vor solchen assimilationen - anhand eines beispiels, wo durch assimilationen über wortgrenze hin irgendein anzügliches wort rauskommt. leider finde ich die stelle nicht mehr (weiß es jemand? es ging glaube ich um einen fall wie "cum + ..." > "cun + ..."). Ante oculos tibi puto obversari Cic. orat. 154.
Vale, aestivo fruere hoc die!
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon ille ego qui » Mo 6. Jun 2011, 14:16

gratias tibi ago :-)
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » So 26. Jun 2011, 12:11

consus hat geschrieben:vor guttutalem V. > n zur Bezeichnung des gutturalen Nasals (oft mit á¹… wiedergegeben): coá¹…cors (-onc- nasaliert gesprochen wie n in singen, danken); tuá¹…c (< tum + ce), taá¹…quam (< tam + quam) usw.
Hallo consus. Gerade lese ich bei Vox Latina folgendes:
Vox Latina hat geschrieben: Another fact which is sometimes cited as proof of the simul-
taneous nature of the w-element is that an m before qu may
remain unchanged, whereas before c it is regularly changed to
n (= [Å‹]; see p. 27); thus horum + ce gives horunc, am + ceps gives
anceps, but quam + quam remains quamquam (similarly quicumque,
numquam, umquam, etc.)—which suggests that the labial w-
element was present from the start of the qu-sound, thereby
providing an enfironment that favoured the preservation of the (…)
Wie ist das nun mit deiner Aussage in Einklang zu bringen? Wann wird m vor qu nun zu n und wann nicht?
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon consus » So 26. Jun 2011, 22:23

Salve, laptop.
Habe jetzt am späten Abend (nach einem Konzertbesuch) wenig Zeit, mich der Frage genau zu widmen. Also ließ ich google suchen: Es gibt inschriftliche Belege für unquam, z. B. http://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/EDH/inschrift/046421, auch für nunquam, z. B.
CIL I² 11 [betr. L. Cornelius Cn.f(ilius) Cn(aei) n(epos) Scipio (ca.
200 v.Chr.)]:
... Quei nunquam / victus est virtutei, annos gnatus XX is / l[oc]eis mandatus. ...
Weiteres wird sich wohl finden. Ob numquam oder nunquam geschrieben wird, scheint mir nur ein orthographisches, nicht aber die nasalierte Aussprache betreffendes Phänomen zu sein.
Schönen Abend!
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Laptop » So 26. Jun 2011, 23:38

@consus Gut, dann bleibt die Sache vorerst offen. Du hattest ja geschrieben, da es auch "etymologische" Schreibungen gab, z. B. inpello. Könnte es sein, daß Erscheinungen wie "quamquam", "tamquam", "numquam" und solche in diese Schublade gehören, d. h. zu Zeiten Ciceros zwar die Aussprache nicht so gut wiedergaben wie es eine Schreibung mit n täte, dafür aber aus reaktionären Gründen in gewissen Kreisen beibehalten wurden? Zur selben Zeit gab es vermutlich auch andere Kreise, andere Steinmetze, die eine pragmatischere Auffassung hatten und nunquam meißelten.

Auch vielleicht in diesem Zusammenhang erwähnenstwert ist, daß es in der Renaissance, und ich erwähnte hier stellvertretend Scaliger, die Auffassung gab, die von dir genannten Regeln ...
"com-, in-" vor "b, p" > "m"
"com-, in-" vor d, t > "n"
"com-, in-" vor k, q > "n"
... allgemeiner zu fassen zu ...
"m, n" vor "b, p" > "m"
"m, n" vor d, t > "n"
"m, n" vor k, q > "n"
Jedenfalls ist das in dem mir vorliegendem Druck konsequent so befolgt. Und Scaliger war ein Ciceronianus, d. h. erzkonservativ nur den verbürgtesten und höchsten Autoritäten folgend.

Zum Abgleich: bei Erasmus (bzw. den mir vorliegenden Drucken) sieht es ähnlich aus, wenn auch etwas loser: die Zeichenfolge "mq" findet sich NUR bei allen Wörtern auf -que i. S. v. "und", das heißt das encliticon wurde hier wohl als eigenständiges Wort aufgefaßt. Ebenso auch bei "eamdem" und "iamdudum", welche wohl ähnlich betrachtet wurden. Ansonsten findet sich wie zu erwarten "tanquam, utcunque, nunquam, pleranque", also bis auf leichte Abweichungen dergleichen Rechtschreibung wie Scaliger folgend.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Narcissus » Mo 27. Jun 2011, 01:45

Cicero befürwortet "vobiscum" anstelle von "cumvobis", weio letzteres so klingt wie "cunnum vis".
Das mit "im/inprimis ist ein rein orthographisches Problem. Phonetisch gab es da keinen Unterschied.
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon Zythophilus » Mo 27. Jun 2011, 08:49

Wird sich das Problem je lösen lassen? Es gibt offenbar beide Schreibweisen zurselben Zeit. Kann man wirklich davon ausgehen, dass ein Autor während seines ganzen Lebens immer nur die eine Möglichkeit verwendete? Wenn er diktierte, ließ er nachträglich alle Formen, die seiner Vorliebe nicht entsprachen, wenn's denn eine gab, ändern?
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Re: m/n-Mutation vor Konsonant.

Beitragvon consus » Mo 27. Jun 2011, 09:38

W. Sidney Allens Satz „Another fact …cited as a proof …unchanged”* ist gedanklich mit der folgenden damit zusammenhängenden Feststellung** zu verbinden:
But the existence of alternative spellings with n (quanquam, etc.), and the possibility that the m is due to analogical influence from quam, cum, etc. (as in e. g. quamdiu beside inscr. quandiu) diminishes the value of the evidence.
Fazit: M. Niedermann und W. Sidney Allen widersprechen sich nicht.
_______________________________
* Vox Latina, 2. Aufl. Cambridge 1977, S. 16.
** Ebd. S. 17 oben.
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