Textkritik: Cic. Cato II,6,17ff.

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Textkritik: Cic. Cato II,6,17ff.

Beitragvon ille ego qui » So 23. Mär 2014, 14:54

Laelius sagt hier:

Volumus sane, nisi molestum est Cato, tam-
quam longam aliquam viam confeceris quam nobis
quoque ingrediundum sit, istuc quo pervenisti, videre
quale sit.


sehr viel lieber läse man hier doch "qua" - was denn auch die Handschriften HS bieten. Wie würdet ihr diese Frage textkritisch angehen. Ist "quam" zu halten, da es die lectio difficilior ist? Gibt es klassische Belege für eine solche Gerundivkonstruktion bei einem transitiven Verb?
Und eine Zusatzfrage: ich verstehe "istuc" als "istud-ce". Wäre auch eine Assimilation vorstellbar? istuc "dorthin" zu quo "wohin"?

bene valete :-)

P.S.: Könnt ihr mir vielleicht sagen, ob ich die Textstelle dem Standard gemäß angegeben habe. Peinlich, aber wahr: Die vielen Zahlen verwirren mich jedes Mal aufs neue. Danke! ;-)
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Medicus domesticus » So 23. Mär 2014, 15:54

Zu deiner ersten Frage:
Stichwort ist hier "unpersönliches Gerundivum mit Akkusativobjekt". Kommt in klassischer Zeit nicht sehr häufig vor. Interessant zu lesen ist das hier:
http://tinyurl.com/ofu3ye5
Man zitiert eher Cic.Cato...usw.
Zur zweiten:
istuc = istoc
enstpricht nämlich: volumus ... videre, quale sit istoc, quo pervenisti.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon consus » So 23. Mär 2014, 16:14

ille ego qui hat geschrieben: istuc quo pervenisti
Salve, amice!
Wenn man Kühner-Holzweissig (Bd. 1, S. 1020f.) folgt, dann ist huc aus *hoi-ce entstanden, wobei wieder an gr. ποῖ zu denken ist. Analog dazu istuc zu sehen. Die Formen auf o und dann die durch Zusammensetzung mit ce entstandenen auf oc und uc (o zu u duch Vokalverdunklung) sind wohl "am ehesten ... als Lokative der Richtung" zu erklären.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » So 23. Mär 2014, 16:29

So, ich habe mal ein bisschen gesucht:
Definitiv steht "ingredi" häufig mit Akkusativ-Objekt, bei Cicero selbst häufig mit "in", ab und zu mit Akkusativ (Cic, Phil, 2, 67: tu etiam ingredi illam domum ausus es.; Cic, deOrat, 3, 217: quod iter incipiam ingredi?), jedoch auch einmal mit Ablativ (Cic, deOrat, 1, 261: neque is consistens in loco, sed inambulans atque ascensu ingrediens arduo.).
So weit, so gut. Was die Version "qua" betrifft, wäre ich skeptisch. Oft handelt es sich um ein vergessenes "m", das in den alten Handschriften als Strich über dem a geschrieben wurde, also "quā". Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass so etwas beim Abschreiben übersehen wurde.
Noch etwas zum Stil: Die Form "ingrediund*" ist offensichtlich eine altertümliche Form. Cicero verwendet das Gerundium/Gerundivum "ingrediend*" noch an zwei anderen Stellen, dort aber mit "e". Es würde also nicht wundern, wenn er hier insgesamt eine etwas altertümliche klingende Ausdrucksweise bevorzugt.
Mein Fazit: "quam" ist richtig, "qua" ein Abschreibfehler.

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Sokrates » So 23. Mär 2014, 16:34

Salve,

also ich habe die Stelle unter II, 6 sofort gefunden, nur solltest du zur Vermeidung von Verwechslungen mit Catilina tatsächlich Cato ausschreiben ;)
Wie ich gerade sehe, haben sich die Experten schon geäußert, ic haar mal wieder zu langsam, aber ich gebe den Beitrag doch noch frei, vielleicht hilft es was:

Zum Problem:
Ich stimme RM zu, ingredior ist klassisch oft transitiv, ich betrete beschreite schlage einen Weg ein viam ingredior.
An sich wird ja die persönliche Konstruktion als die regelhafte angesehen, doch auch in klassischer Sprache zuweilen Ausnahmen, cf. zu genau diesem Satz KS II, 1 § 131, 2! Das Akkusativobjekt ist also im Zweifelsfalle statthaft und die entsprechende Lesart würde ich beibehalten, auch wenn qua sicher angenehmer wäre.
Consus hat die sprachgeschichtliche Entwicklung sehr schön nachgezeichnet! Nur kann man nicht so leicht entscheiden, wie es zu deuten ist...
Das istuc kann ja sowohl eine Alternative zu istoc sein, also ein neutrales Demonstrativum, oder auch mit lagen Vokal als istuc verstanden werden.
Generell bietet sich bei einer Prolepse, die hier vorliegt, immer das Pronomen an, das ein Akkusativobjekt darstellt; so lässt sich diese Konstruktion der Vorziehung auch vom D aus am besten fassen und nachvollziehen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Cicero nicht doch eine Korrelation der Adverbien der Richtung istuc-quo im Sinn hatte. Sowohl pervenire als auch videre haben ja gern Richtungsangaben bei sich, sodass sich ein abgerundeter Ausdruck ergeben würde (im D etwa: dorthin sehen, wo du angelangt bist (und das /diese Stelle dann prüfend betrachten, ) wie es beschaffen ist. Das würde aber eher eine Stellung ἀπὸ κοινοῦ implizieren, die ja nicht gegeben ist, auch keine Distinctio.)
Genau entscheiden lässt sich das nicht, vom D aus einfacher wäre die Deutung als Pronomen, das Sprachgefühl Ciceros hat viellicht eher eine Richtungsangabe gefordert, auch wenn eine solche als indirektes gedankliches Subjekt zu einem quale ist schwierig vorstellbar ist, wen man keinen abstrakten Begriff ergänzt, insgesamt aber möglich, wenn man die in der Tat altertümlichen Formulierung in diesem Satz bedenkt.



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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon marcus03 » So 23. Mär 2014, 16:41

...viam confeceris, quam nobis quoque ingrediundum sit:

Diese Konstruktion ist m.M.n.gar nicht möglich/erklärbar Es könnte eher noch lauten: viam, quae ... ingredienda sit. Ein Akk. passt da einfach nicht rein, denke ich, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen. Einen Akk. Graecus als "ultima ratio" schließe ich ebenso aus.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Sokrates » So 23. Mär 2014, 16:49

ja, das wäre angenehmes Schulmeisterlatein, marce, das stimmt :lol:
ich erinnere an
KS II, 1 § 131, 2!
Aber nicht, dass auch er sich noch irrte..

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » So 23. Mär 2014, 16:57

Bitte, bitte, bitte, korrigiert den Cicero nicht!
"quae ... ingredienda" erfordert wahrscheinlich zu viele Änderungen am überlieferten Text. Es besteht auch keine Notwendigkeit, da die überlieferte Variante ja nicht falsch ist. Dass sie nicht möglich sei, stimmt ja jetzt auch nicht wirklich ...

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon marcus03 » So 23. Mär 2014, 17:03

So ist das nie und nimmer konstruierbar. Das QUAM widerspricht jeder grammat. Logik /Erklärbarkeit. Es dürfte keine vergleichbare Belegstellen geben. :-o
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Medicus domesticus » So 23. Mär 2014, 17:07

Im Prinzip ist das doch eine griechische Konstruktion bei Verbaladjektiven auf -τέος (siehe meinen Link oben auf S.188). Im Griechischen ist es ganz üblich, dass man in unpersönlicher Konstruktion eines Verbaladjektivs eines transitiven Verbs die Kasusrektion beibehält.
Vergleichbare Konstruktion liefert z.B. Catull 39,9: Quare monendum est te mihi, bone Egnati..
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Re: Textkritik: Cic. Cato 6

Beitragvon consus » So 23. Mär 2014, 17:14

Sokrates hat geschrieben:...Das istuc kann ja sowohl eine Alternative zu istoc sein, also ein neutrales Demonstrativum, oder auch mit lagen Vokal als istuc verstanden werden. ...
Salve, mi doctissime amice!
Ich gestehe, dass ich bei der Überlegung, wie das Adverb istuc zu erklären ist, den Kontext völlig aus den Augen verloren habe. :shock: Wenn ich den Textzusammenhang in den Blick nehme, sehe auch ich in istuc (istoc) eher das Neutrum Sing. von istic. Die Form hat wohl folgende Entwicklung durchgemacht: isto-d-ce > istod-c (Apokope des e) > istocc > istoc (vgl. hoc), "gewöhnlich istuc" (so Kühner-Holzweissig, S. 606) geschrieben.
So, jetzt ruft die nachmittägliche Kaffeetafel!
Weiterhin schönen Sonntag!
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Zythophilus » So 23. Mär 2014, 17:18

Die Konstruktion ist möglich, aber in klassischer Zeit kaum gebräuchlich. Ich stelle mir vor, dass Cicero hier etwas, das uns nicht mehr bekannt ist, zitiert.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Sokrates » So 23. Mär 2014, 17:20

natürlich ist die Konstruktion ungewöhnlich, da offenbar archaischer, aber: Cicero hat keineswegs immer Musterlatein geschrieben, das ist nach einem kurzen Blick in jede wissenschaftliche Grammatik mit ihren diversen Alternativen und scheinbaren Ungereimtheiten ersichtlich. Es liegt meiner Meinung nach auch kein Gräzismus vor, denn dafür müsste das Latein sich ja umbiegen, um etwas nachzubilden, was es so im gründe nur im Griechischen gibt (etwa die ausgedehnte Verwendung des Akkusativs der Hinsicht und die Rezeption in der Poesie als Acc. graecus), beide Sprachen haben aber diese Möglichkeiten, zu einem Gerundivum bei esse ein Akkusativobjekt zu setzen (bzw. im Gr das Verbaladjektiv, was da steht). Es ist ja auch naheliegend, so zu formulieren. Dass diese Konstruktion nicht ganz fein ist, dürfte klar sein, aber ich will im Zweifel lieber eine bewusste und korrekt überlieferte Stilisierung Ciceros annehmen als eine miserable Überlieferung (denn das wäre sie, wenn man so viel ändern müsste, dass quae…ingrendu(e)nda stünde).
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon marcus03 » So 23. Mär 2014, 17:21

Das traue ich in diesem Fall gerade Cicero am allerwenigsten zu. Erklärung plausibel, aber sehr unwahrscheinlich, denke ich. Sehr, sehr weit hergeholt. Dann wäre das doch so etwas wie ein Akk. Graecus ?
Der ist wohl eher in der Dichtung (aus metr. Gründen) anzutreffen als in der Prosa. :?
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Sokrates » So 23. Mär 2014, 17:25

das halte ich nun wieder für weit hergeholt ;)
also der Acc. graecus, wie soll man ihn hier einnauen? Es steht weder ein entsprechendes Adjektiv noch ein Verb, was er erläutern könnte. Ein Bewegungsverb steht nunmal primär mit einer Richtungsangabe (mit Präposition oder meinetwegen auch also bloßer adverbialer Akkusativ) oder wird transitiv konstruiert, was hier der Fall ist. Für ingredior mit AkkObj gibt es ja auch zahlreiche andere Belege, s.o.
Wie würdest du einen acc. graec/limitations denn hier anwenden?

@ consus
Wenn ich den Textzusammenhang in den Blick nehme, sehe auch ich in istuc (istoc) eher das Neutrum Sing. von istic.

Damit dürfte sich die Richtungsangabe in proleptischer Verwendung verwerfen lassen, ein AkkObj ist wohl durch ein Adverb, auch wenn es schön korrelieren würde, nicht ersetzbar.
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