Textkritik: Cic. Cato II,6,17ff.

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » So 23. Mär 2014, 19:33

marcus03 hat geschrieben:Vllt. sollten sie auch "nur" eine spontane Hommage an das von ihm geschätzte Griechisch sein. Vllt. hat er auch nur mal kurz unbewusst griechisch gedacht. :)

Da muss man bei Cato aber aufpassen, dass er das Interview nicht abbricht und gleich nach Hause geht, wenn man ihm so griechisch rüberkommt ... :wink:

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon marcus03 » So 23. Mär 2014, 19:40

Cato senex linguam Graecam didicisse dicitur. Noch ein Grund mehr, oder ? ;-)
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon ille ego qui » So 23. Mär 2014, 19:52

schön, was hier los ist! danke euch allen für den austausch von argumenten. nihil magis iuvat! :-)

Cicero selbst hätte Dir wahrscheinlich gesagt, dass "quae ingredienda est" natürlich auch ginge, und hätte dann nachgefragt, was Dir an seinem "quam nobis quoque ingrediundum est" nicht gefällt.


:D das halte ich nun tatsächlich für ausgeschlossen. es handelt sich ganz offenkundig um einen markierten sprachgebrauch - die beleglage ist ja auch hier sehr, sehr begrenzt und klassische beispiele (caesar, cicero) scheint es sonst überhaupt nicht zu geben (auch nicht livius, sallust, tacitus) (s. hofmann/szantyr-link). und wie gesagt: eine charakterisierende absicht liegt ja hier sehr nahe (ältere Zeit; griechenliebende Gesprächsteilnehmer**?). (Die feine - oft ironische - Abstimmung ciceronischen Sprachgebrauchs auf Situation, Figur und kulturellen Kontext ist ein Lieblingsthema eines unserer - vielleicht bisweilen allzu phantasievollen - Dozenten :D)
übrigens (von unserer textkritischen frage, in der ich dir im ergebnis zuzustimmen geneigt bin, abgesehen) ist ingredi mit ablativ so unklassisch nicht (TlL):

α abl.: CIC. de orat. 1, 261 inambulans atque
ascensu -ens arduo Demosthenes. rep. 6, 26 vestigiis -sus patris et tuis
(HIRT. Gall. 8, 20, 1
. cf. PAVL. NOL. epist. 4, 3 p. 21, 9 tuis gressibus).
VERG. Aen. 4, 177 Fama -itur … solo (10, 767. cf. infra l. 14). 10, 763
15745 campo (764 incedit, 768 se … infert). SEN. Phaedr. 614 non me per
altas ire si iubeas nives, pigeat gelatis -i Pindi iugis. via (viis): CIC.
Cael. 41 multas vias adulescentiae lubricas ostendit natura, quibus illa
insistere aut -i sine casu aliquo … vix posset.
LIV. 10, 35, 4 (quam
dett.). HIER. epist. 18 A, 10, 1. cf. infra l. 66. per ellipsin: CIC. fin.
157410 5, 5 quacumque
(OV. met. 2, 791. 4, 28 fast. 4, 481 IVST. 22, 6, 5).
Tusc. 5, 115 qua (quo var. l.) vellet (PLIN. nat. 8, 199).


Nur ein Gedanke nebenbei: Auch verbindungen mit Adverbien verschiedenster Art finden sich, so dass man in einem "via, qua ingredior" "qua" theoretisch (vielleicht etwas gesucht) auch als Adverb - ungefähr im Sinne von "ubi" - interpretieren könnte. mentior?


_____________________
** ein "Gräzismus" mitten in lateinischer rede wäre vielleicht für Cato selbst, so sehr Cicero auch dessen zum schluss auch griechische doctrina betont, tatsächlich etwas arg ^^
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » So 23. Mär 2014, 22:48

marcus03 hat geschrieben:Cato senex linguam Graecam didicisse dicitur. Noch ein Grund mehr, oder ? ;-)

Natürlich konnte Cato Griechisch. Das schreibt er ja schließlich selbst an seinen Sohn Marcus. Allerdings hält er nicht unbedingt viel von den Griechen.

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Zythophilus » Mo 24. Mär 2014, 00:22

Schon im Blick auf den vorherigen Akk. uiam ist es verlockend hier mit quam ein Relativpronomen im Akk. zu haben. Das Resultat ist zwar möglich, aber für Cicero doch zumindest ungewöhnlich. Verwechslungen von qua und quam sind leicht möglich, und der anscheinende Akk. passt auch generell ganz gut zu ingredior als trans. Verb.
Wie wäre es freilich, wenn wir es mit ingredior als intr. Verb versuchten? Mit qua als Abl. und der Richtungsangabe istuc, die man durchaus in den Relativsatz hineinziehen kann, sieht das für mich sehr plausibel aus.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Zythophilus » Mo 24. Mär 2014, 00:42

Wenn man die Interpunktion so belässt, wie sie in der verwendeten Ausgabe ist, dann erhält man eine stilistisch fragwürdige Tautologie: Cicero sagt dann: "Du hast den langen Weg schon beendet ... dorthin (in istuc wird noch einmal auf die 2. Pers. hingewiesen), wohin du gekommen bist."
Nimmt man aber dieses istuc sinnvollerweise in den Relativsatz hinein (Cicero muss ja erst dorthin kommen, wo Cato schon ist), dann will mir das transitive ingredior nicht recht passen: uiam ingredi + Richtungsangabe ist nicht plausibel.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon ille ego qui » Mo 24. Mär 2014, 18:47

Zythophilus hat geschrieben:Wie wäre es freilich, wenn wir es mit ingredior als intr. Verb versuchten? Mit qua als Abl. und der Richtungsangabe istuc, die man durchaus in den Relativsatz hineinziehen kann, sieht das für mich sehr plausibel aus.


das war doch überhaupt die ausgangsfrage: "qua" wollte mir gut einleuchten, ist aber - obwohl überliefert - in den Apparat verbannt. wie du das mit der "richtungsangabe 'istuc'" meinst, ist mir nicht ganz klar - bzw. was du damit gewinnen willst. da fehlt doch dann zumindest dem sinne nach das subjekt zu "quale sit": "... sehen, wie das (istud-ce), wohin du gelangt bist, beschaffen ist".

vale :-)
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Zythophilus » Mo 24. Mär 2014, 19:40

Natürlich war es die Ausgangsfrage, ob qua - als Ortsadverb oder hier eher doch als Abl. des Rel.pronomens, bezogen auf uiam - oder quam in den Text gehört.
Wenn man qua nimmt, dann sollte istuc in diesen Relativsatz hinein: istuc entspricht huc und illuc, gibt also die Richtung an. Man beachte, dass auch Georges die Kombination istuc + peruenire für Cicero anführt. http://www.zeno.org/Georges-1913/A/istu ... D?hl=istuc
Objekt zu uidere ist der indir. Fragesatz, der kein Bezugswort im übergeordneten Satz braucht.
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 24. Mär 2014, 20:16

Die Sache ist eigentlich geklärt. "quam" hat auch die Oxford-Ausgabe * mit Hinweis auf "qua" im textkritischen Teil. Mir leuchtet die Formulierung als archaisch und bewußt von Cicero gewählt gut ein.
Ernst Risch hat doch mit seinem Werk gute Pionierarbeit geleistet und die Frage gut bearbeitet. Den Link habe ich ganz am Anfang angegeben:
http://tinyurl.com/ofu3ye5

* in der Oxford-Ausgabe, die ich zuhause habe, steht im textkritischen Apparat:
18 quam: qua HS
19 ingrediundum sic scr. P¹RSZβ
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » Mo 24. Mär 2014, 20:35

Zythophilus hat geschrieben:Wenn man qua nimmt, ...

Ist aber mehr oder weniger hypothetisch, denn "qua" ist nicht übermäßig wahrscheinlich - ihr könnt ja gern mal schauen, wie "ingredi" sonst bei Cicero konstruiert wird. Es ist nämlich so, dass Cicero meistens "ingredi in" verwendet, manchmal "ingredi ad", gelegentlich den Akkusativ ("iter ingredi"), zweimal "qua" (nicht Abl.), aber "quam viam" ebenfalls. Hier die etwas ungewöhnlicheren Beispiele:

Cic, deOrat, 1, 261: sed inambulans atque ascensu ingrediens arduo.

Cic, Fin, 5, 5: quacumque enim ingredimur, in aliqua historia vestigium ponimus.

Cic, Tusc, 5, 115: ... qua vellet, ingredi posset et, quae vellet, attingere.

Cic, Off, 1, 118: ..., quam quisque viam vivendi sit ingressurus, datum est, ...

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon ille ego qui » Mo 24. Mär 2014, 20:37

könntest du vielleicht eine übersetzung des satzes vorschlagen, die deiner interpretation von "istuc" rechnung trägt, mi Zythophile? :)
aber ich denke, wir sind uns einig, dass "istuc" auch ein verstärkter "istud" sein kann? (neben dem gängigeren rirchtungsadverb, versteht sich)
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Zythophilus » Mo 24. Mär 2014, 20:57

"Wir wollen in der Tat, wenn es dir nichts ausmacht, da du gewissermaßen schon den langen Weg zurückgelegt hast, auf dem wir auch dorthin schreiten müssen, wohin du gekommen bist, sehen, wie es ist."
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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon RM » Mo 24. Mär 2014, 21:09

Zythophilus hat geschrieben:"..., auf dem wir auch dorthin schreiten müssen, ..."

Meine Variante wäre: "Wenn es dir nichts ausmacht, Cato, wollen wir schon, so wie du einen langen Weg zurückgelegt hast, den wir auch beschreiten müssen, sehen, wie es da ist, wo du angelangt bist." :wink:

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Re: Textkritik: Cic. Cat. II,6,17ff.

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 24. Mär 2014, 21:22

Sehe ich genauso, RM.
Cicero hatte da in seiner Einleitung auch eine gewisse Intention.
Solche Fragestellungen sind doch immer nur im Gesamtzusammenhang zu beantworten. Ich bin sowieso ein Oxford-Fan.. :lol:
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