Cic. de officiis III - WARUM HIER EIN AKKUSATIV?

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Cic. de officiis III - WARUM HIER EIN AKKUSATIV?

Beitragvon philo86 » Do 11. Jul 2013, 21:38

Ich starte jetzt einfach mal ein neues Thema, weil ich nicht glaube, dass jemand die Lust hat, sich durch den alten Thread, den ich bereits beantwortet hatte noch einmal durchzulesen.

Es geht um folgenden Satz bei Ciceros de officiis III, 21:

Detrahere igitiur alteri aliquid et hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors [...]

Wer kann mir den Kasus des kursiven unterstrichenen Wortes "hominem" erklären? Klar ist bzgl. der Struktur: es handelt sich um einen vorangestellten Infinitivsatz, der die syntaktische Funktion des Subjekts erfüllt. Das et hinter aliquid verbindet jedoch nicht die Akkusativformen hominem und aliquid, sondern vielmehr die beiden Infinitive detrahere und augere. Der Infinitivsatz wird also im zweiten Teil fortgeführt, was eine AcI-Konstruktion, die hominem als Subjektsakkusativ hat, im zweiten Teil des Satzes ausschließt (zumal hier aber auch der unpersönliche Ausdruck bzw. das Verbum dicendi bzw. sentendi fehlen würde. Das wäre für das klassische Latein des Ciceros ja wohl der absolute Stilbruch).

Desweiteren wird der Akkusativ bei commodum durch das Transitivum augere hervorgerufen. Dass augere auch den Akkusativ bei hominem hervorruft dürfte somit auch ausszuschließen sein, zumal der Sinn dann völlig entstellt wäre. In einem andere Thread im Forum hier habe ich gelesen, dass ein Nutzer vorschlägt "hominem" mit "als Mensch" zu übersetzen. Das wäre durchaus sinnig, jedoch warum steht - falls Cicero hier wirklich eine prädikative Verwendung zugrunde legt - hominem im Akkusativ. Als Prädikativum zum gedachten Subjekt des Infinitivsatzes müsste dann doch homo stehen.

Die Übersetzung ist glaube ich kein Problem, soll auch hier nicht zu Diskussion stehen. Es geht mir lediglich um eine plausible Erklärung der Form hominem. In meiner Übersetzung würde ich hominem einfach rauslassen, da es für mein Verständnis in der hier vorliegenden Form nicht sinnig unterzubringen ist.

Wer etwas weiss, oder eine Idee hat, dem wäre ich für eine Antwort dankbar.
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Re: Cic. de officiis III - WARUM HIER EIN AKKUSATIV?

Beitragvon Prudentius » Fr 12. Jul 2013, 17:41

Wer kann mir den Kasus des kursiven unterstrichenen Wortes "hominem" erklären?


Prudentius mit Namen.
Du kannst dir das Verbum als eine Input-Output-Maschine vorstellen mit mindestens einem Steckplatz, "Subjekt" genannt; der Steckplatz kann besetzt sein, wie hier, mit "hominem", oder unbesetzt, wie davor bei detrahere.
Das Subjekt beim Inf. steht im Akk., nicht wie sonst beim finiten Verb im Nom.
Grundsätzlich kann also zu einem Inf. ein Subjekt im Akk. hinzutreten.

Ein ACI muss nicht von einem Verbum dic. oder unpers. Ausdruck abhängen, er ist ja nicht auf die Oratio obliqua beschränkt.
Das et verbindet die beiden erweiterten Infinitive detrahere und augere.

Im D. holpert die Wiedergabe mehr als im L.: "Einem Menschen etwas wegzunehmen und dass ein Mensch einem anderen..."

Gruß P. :)
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Re: Cic. de officiis III - WARUM HIER EIN AKKUSATIV?

Beitragvon Viator » Fr 12. Jul 2013, 18:12

Es gibt da noch ein Beispiel, in dem dieses "hominem hominis" vorkommt:
ut vultum aqua reddit ita hominem hominis reddit cor.
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Re: Cic. de officiis III - WARUM HIER EIN AKKUSATIV?

Beitragvon Sokrates » So 14. Jul 2013, 15:50

salvete,


Bei einem AcI steht das Subjekt mit allen KNG-kongruenten Teilen, die sich darauf beziehen (Attribute, Appositionen und natürlich auch prädikative Substative!), im Akkusativ. Bei einem einfachen Subjekts-Infintiv auch, wie im Griechischen, man kann zum Verständnis i.d.R. ja ein Indefinitpronomen im gleichen Kasus ergänzen. Der Kasus von hominem ist also einleuchtend, dunkler die Funktion. Natürlich ist eine Verwendung als Prädikativum denkbar, aber bei so allgemeinen Substantiven eher nicht angezeigt (vielleicht noch in Kombination mit einem ut).
Ich würde eher davon ausgehen, dass es sich um einen gewöhnlichen Subjektsakkusativ handelt. Das wirft die Frage auf, warum hier ein AcI steht. Zum einen ist "contra x (naturam) esse" wahrscheinlich als unpersönlicher Ausdruck von esse mit Prädikatsnomen zu werten, nach dem ein AcI stehen kann. Dass dieses nicht immer adjektivisch sein muss oder ein Substantiv (necesse est, mos est...), sondern auch mal ein präpositionaler Ausdruck, der semantisch einer "normalen" unpers. Wendung entspricht, sein darf, zeigt ja ein Beispiel wie Non est e re publica bona dividi. natura ist ja auch ein sehr abstraktes Wort, ebenso wie res (publica).
Hinzu kommt, dass der vorangehende Infinitv syntaktisch "abgefärbt" haben könnte und einen AcI sozusagen schon begünstigt, wenn auch nicht erst ermöglicht.
Ciceros "Konzinnität" ist dadurch sicher nicht verletzt, das wäre wohl bei einer ganz anderen Subjektskonstruktion wie ut/quod (mit welcher grammatischen Rechtfertigung auch immer ;) ) der Fall.

Schließlich besteht noch formal die Möglichkeit, dass der erste Infinitv gar kein einfacher ist, sondern schon zum AcI gehört, und eben apo koinu gestellt ist, um diese prägnante Struktur hominem hominis zu realisieren?
Das aber scheint mir für Cicero wirklich zu weit...?

uns mag die Kopplung von einfachem Infinitiv und AcI etwas "inkonzinn" erscheinen, aber ich denke gerade auch Cicero war sich der stilistischen Wirkung sehr bewusst, wenn er nach dem allgemein gültigen "Gesetz der wachsenden Glieder" einem emphatischen Subjektsinfinitv eine syntaktisch und im Grunde auch semantisch äquivalente Konstruktion, die ja im Grunde nur eine Expansion (in jedem Falle elegante Variation) zu einem komplexeren Syntagma ist, folgen lässt, und das auch noch mit diesem markanten Polyptoton verbindet.

Weitere Sichtweisen! :prof2:

LG Sokrates
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