Catull

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

Moderatoren: Zythophilus, marcus03, Tiberis, ille ego qui, consus, e-latein: Team

Re: Catull

Beitragvon Medicus domesticus » Do 1. Mai 2014, 09:18

RM hat geschrieben:Etabliert? Vielleicht als Narr und Vorzeigedichter. Ich glaube jedoch nicht, dass Catull zur High Society Roms gehörte, vielleicht zur gehobenen Mittelschicht Veronas. Als Dichter wurde er sicherlich gelegentlich zur Aufheiterung der Gäste eingeladen, sonst aber klingt es nicht so, als hätte er viele Freunde gehabt.


Er war aus sehr begüterten Hause. An Geld fehlte es ihm nicht. Sein Vater hatte auch Umgang mit Caesar. Politisch war Catull, als er nach Rom ging, nicht aktiv, aber einer aus den damals bekannten Neoterikern. Seine Freunde waren immerhin Calvus, Nepos und Cinna. Dass er mit seinen spöttelnden Gedichten Aufsehen auch bei den Mächtigen erregte und welche Beziehung seine Familie zu Caesar hatte, schreibt Sueton in Caesar 73:
Valerium Catullum, a quo sibi versiculis de Mamurra perpetua stigmata imposita non dissimulaverat, satis facientem eadem die adhibuit cenae hospitioque patris eius, sicut consuerat, uti perseveravit.

Ein interessantes Buch dazu ist Catull von Julia Haig Gaisser *. Dort kann man ausführlich seine Biographie mit Quellenangaben und seine Stellung in der High Society nachlesen.

* http://tinyurl.com/olf648k
Medicus domesticus
Dominus
 
Beiträge: 7287
Registriert: Di 9. Dez 2008, 11:07

Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 11:13

Nun, die Stelle bei Sueton zeigt eher, dass Catull aus Gallia Cisalpina nicht zur römischen High Society gehörte, dass aber, wenn er ein Spottgedicht verfasste, es gerne gelesen wurde. Caesar war sicher neugierig auf diesen Possenreißer, den er anscheinend gezwungen hat, sich in aller Öffentlichkeit für seine Dichtung zu entschuldigen. Aber Caesar ließ gegenüber seinen unterlegenen Gegnern oft Milde walten. Das Verhältnis scheint mir eher eines gewesen zu sein wie zwischen einem Politiker und einem Journalisten: Der eine gehört zur High Society, der andere berichtet darüber (s. den gleichnamigen Film mit Bing Crosby, Fred Astaire und Grace Kelly). In Rom hat sich an der sozialen Schichtung in den letzten 2000 Jahren nicht so viel geändert. Man kann dort sehr wohlhabend sein, ohne zu den Oberen Zehntausend zu gehören. Sein teilweise beißender Spott ohne wesentliche Konsequenzen zeigt nur, dass er "denen da oben" nicht gefährlich werden konnte. Ovid war da wohl von anderem Kaliber.

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Do 1. Mai 2014, 12:39

Catull gehört dem Ritterstand an, die Familie ist sehr reich und hat gute Beziehungen zu Caesar: Da geht es nicht um "High Society", sondern das sind in der Zeit die Ingredientien für eine politische Karriere. Seine Anwesenheit in der cohors des Memmius weist ebenfalls in diese Richtung. Zerstörte Catull sich seine Chancen durch die Spottgedichte? Caesar scheint es alles in allem relativ locker genommen zu haben. Auch die Bekanntschaft mit Clodia - wie auch immer die Beziehung ausgesehen mag - deutet auf jemanden hin, der grundsätzlich dazugehört und nicht bloß ein geduldeter Spaßvogel ist.
Normalerweise nimmt man an, dass Catull selber nicht an einer politischen Karriere interessiert war; auch das frühe Lebensende dürfte allfällige Erfolge verhindert haben.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 17050
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 12:42

Zythophilus hat geschrieben:... die Familie ist sehr reich und hat gute Beziehungen zu Caesar...

Wo steht das geschrieben?

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Catull

Beitragvon Tiberis » Do 1. Mai 2014, 12:50

RM hat geschrieben:Wo steht das geschrieben?

z.b.bei Suet.Caes.73 :book:
ego sum medio quem flumine cernis,
stringentem ripas et pinguia culta secantem,
caeruleus Thybris, caelo gratissimus amnis
Benutzeravatar
Tiberis
Pater patriae
 
Beiträge: 11896
Registriert: Mi 25. Dez 2002, 20:03
Wohnort: Styria

Re:Modernes Gegenstück

Beitragvon Prudentius » Do 1. Mai 2014, 15:51

Wenn wir schon dem Sinn dieses Catull-Ausdrucks hinterherspüren, da bin ich auf dieses moderne Gegenstück aus der intellektuellen High Society gestoßen: Hannah Arendt an Heidegger: "Ich habe dann später geheiratet, irgendwie ganz gleich wen, ohne zu lieben". Sie hätte ein Ehe-Vorbereitungsseminar belegen sollen; und hoffentlich hat es der Ehemann, Günther Anders, nicht erfahren!
Prudentius
Senator
 
Beiträge: 3577
Registriert: Di 24. Mai 2011, 17:01

Re: Catull

Beitragvon marcus03 » Do 1. Mai 2014, 16:37

Prudentius hat geschrieben:Ich habe dann später geheiratet, irgendwie ganz gleich wen, ohne zu lieben"


Vermutlich hatte sie kurz zuvor in SEIN UND ZEIT über Heideggers Denken über das "Man"/die Verlorenheit an das Man gelesen. "Man" heiratet halt, sowie "man" sovieles andere eben auch tut.
Auch viele Männer müssten wohl - so sie denn ehrlich wären- auf die Frage nach dem Grund ihres Heiratens antworten: Weil man/Mann halt heiratet. ;-)
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11640
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Do 1. Mai 2014, 17:00

Über eine etwaige Ehe Catulls wissen wir nichts, aber es ist nicht ausgeschlossen, da arrangierte Ehen, für die keine persönliche Zuneigung nötig war, in seinen Kreisen sehr häufig waren. Clodia war natürlich verheiratet - aber nicht mit Catull.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 17050
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 17:09

Tiberis hat geschrieben:
RM hat geschrieben:Wo steht das geschrieben?

z.b.bei Suet.Caes.73 :book:

Da steht sicher nicht, dass die Familie sehr reich war, auch nicht, welche Beziehung Catulls Vater genau zu Caesar hatte - auf Augenhöhe gingen sie wahrscheinlich nicht miteinander um. Gegen den Reichtum Catulls sprächen auch, wenn man's wörtlich nähme, die Spinnen in seiner Geldbörse. :wink:
Wie gesagt: Wer aus der Provinz kam/kommt hatte/hat in Rom einen schweren Stand. Wer sich dann noch in catullscher Weise über die römischen Alphatiere auslässt, muss mit allem rechnen und kann froh sein, wenn er zu unwichtig erscheint, als dass man sich mit ihm länger als nötig aufhält. Catull scheint sich auch selbst so sehr mit den Geschehnissen in den Städten seiner Heimat beschäftigt zu haben (in seinen Gedichten kommen Verona, Como, Brescia, Padua und Bologna vor), dass ich annehme, dass er sich mehr in der Poebene als in Rom zu Hause gefühlt hat. In jedem Fall kann ich mir gut vorstellen, dass man als alteingesessener römischer Großstadtadliger sich von so einem Zugereisten nicht gerne beschimpfen lässt.

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Do 1. Mai 2014, 18:48

Gegen Catulls Reichtum spricht auch, dass das tiburtinische Landgut vermutlich nur ein sabinisches war. Ein stattliches Haus in Verona, eine Villa in Sirmium - das hatte jeder bessere Bauer. Wenn Caesar dort verkehrte, dann bedeutete das sehr wohl, dass Catulls Vater für ihn in irgendeiner Form wichtig war. Die Familie steht natürlich etwas unter der Caesars oder Pompeius', aber Catulls Ausgangslage für eine Karriere waren nicht so schlecht. Was man von Caesars Günstling Mamurra weiß, der ja ein Lieblingsziel Catullscher Häme war, so sind seine Voraussetzungen ähnlich.
Caesar war wohl sauer wegen der Angriffe, aber wirklich schaden konnten Catull ihm mit Gedichten nicht. Hätte Caesar ihn lediglich als eine Witzfigur gesehen, hätte er den Spötter beseitigen lassen oder einfach übergangen. Die Vorgehensweise, die Sueton beschreibt, zeigt anderes: Es mag sein, dass Caesar dennoch bewusst eine weitere politische Karriere verhinderte, aber das würde erst recht bedeuten, dass für Catull mehr möglich gewesen wäre.
Zythophilus
Divi filius
 
Beiträge: 17050
Registriert: So 22. Jul 2007, 23:10
Wohnort: ad Vindobonam

Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 19:46

Ich glaube, Caesar reagierte auf Angriffe aus seiner Umgebung außergewöhnlich gelassen und nicht nachtragend, sondern eher innovativ, also eigentlich ein cooler Typ, auf den sich verlassen konnte, wer ihn zum Freund hatte. Oft versuchte er, auf diese Weise Gegner zu Befürwortern oder sogar Freunden zu machen. Seine oft zitierte ungewöhnliche Milde gegenüber Unterlegenen spricht für sich.
Catull reiht sich also in eine Reihe ähnlicher Beispiele ein. Seine in Verse gegossenen Worte waren sicher seine schärfste Waffe, welche er aber wohl nicht immer ganz unter Kontrolle hatte (was dann zu so peinlichen Situationen wie einem Versöhnungsessen bei Caesar führen konnte). Politische Ambitionen scheint Catull jedoch nicht gehabt zu haben, so dass man ihn werkeln ließ, so lange er sich einigermaßen im Zaum hielt. Da er ohnehin sehr jung gestorben ist (wie ich annehme, an der Krankheit, über die er sich gelegentlich beklagt), fehlte ihm wohl auch die Zeit, weitere Zukunftspläne umzusetzen.

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Catull

Beitragvon marcus03 » Do 1. Mai 2014, 20:00

Schon erstaunlich, was für eine Diskussion eine kleine fiebrige Hure auslösen kann. :lol:
marcus03
Pater patriae
 
Beiträge: 11640
Registriert: Mi 30. Mai 2012, 06:57

Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 20:07

... und was für eine erst ein großer hustender Catull.

8) RM
RM
Augustus
 
Beiträge: 4522
Registriert: So 22. Sep 2002, 22:08
Wohnort: Bayern

Re: Catull

Beitragvon disciplina » Fr 2. Mai 2014, 10:14

marcus03 hat geschrieben:Schon erstaunlich, was für eine Diskussion eine kleine fiebrige Hure auslösen kann. :lol:



:D Das erstaunt mich auch.

Dennoch vielen Dank an Alle!
disciplina
Censor
 
Beiträge: 528
Registriert: So 30. Jan 2011, 21:30

Vorherige

Zurück zu Übersetzungsforum



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 37 Gäste