"dürfen"

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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"dürfen"

Beitragvon marcus03 » Mo 20. Okt 2014, 10:02

Kann ich folgenden Satz so übersetzen:

Er fragt, ob er mich morgen besuchen dürfe.

Quaerit, an me cras visitare sibi liciturum sit.
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Re: "dürfen"

Beitragvon ille ego qui » Mo 20. Okt 2014, 18:16

salve,

"an" wäre nicht die erwartete partikel ("num", "-ne").
mir scheint der satz sehr konstruiert. ich zöge "liceat" vor, das ja bereits eine futurische sinnkomponente enthält ;)

vale.
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Re: "dürfen"

Beitragvon marcus03 » Mo 20. Okt 2014, 18:25

Hintergrund der Frage:

aus Franz Kafka: Vor dem Gesetz

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.

PS: "an" ist nachklassisch möglich. (s.Georges)
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Re: "dürfen"

Beitragvon RM » Mo 20. Okt 2014, 18:51

Grundsätzlich gibt es "liciturum", aber nur bei Livius (non quemadmodum hodie utrumque uobis licet, sic semper liciturum est) und Justinian.
quaerere, an gibt es bereits bei dem hervorragenden Lateiner Quintilian, auch bei Columella, ist also nicht wirklich abwegig. Bei Cicero gibt's das nur, wenn man eine Wahl (das oder jenes: hoc an illud ... quaero) hat. Aber Cicero verwendet liceat weder mit an noch mit num, sondern erstaunlich oft mit postulare/petere, ut.
Dennoch ist "quaerit, liceatne sibi me cras visitare" vielleicht eine gute Übersetzung - ein wenig inspiriert von Sallust.

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Re: "dürfen"

Beitragvon Tiberis » Mo 20. Okt 2014, 19:01

ich würde auch schreiben: ...num postea intrare sibi liceat" .
möglich ist aber auch: "...num postea futurum sit, ut intrare sibi liceat"
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Re: "dürfen"

Beitragvon Zythophilus » Mo 20. Okt 2014, 20:09

Im ugs. Latein mag es durchaus üblich sein, da dort ja immer wieder statt Futur Präsens verwendet wird, aber sonst würde ich mich hüten cras licet zu schreiben.
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Re: "dürfen"

Beitragvon ille ego qui » Di 21. Okt 2014, 14:44

indirekte fragesätze mit "an" gibt es bereits bei cicero - v.a. "nescio an ..." -, dort bedeutet es jedoch "ob nicht", weshalb "nescio an" ("ich weiß weiß nicht, ob nicht (vielleicht) ...") in etwa dasselbe wie "fortasse" bedeutet.
@Tiberis: ist "futurum ..., ut" in nebensätzen üblich? das wäre nützlich zu wissen. gibt es belege?
valete :)
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Re: "dürfen"

Beitragvon RM » Di 21. Okt 2014, 21:05

nescio an ist jedoch praktisch ein feststehender Ausdruck (der, so weit ich sehe, nie getrennt wird), den man in diesem Zusammenhang nicht so richtig als frei formulierte indirekte Frage zählen kann.
Die Römer hätten den zu Beginn von marcus03 formulierten Satz jedoch sicher verstanden. Ob sie ihn als etwas seltsam formuliert aufgefasst hätten, kann man sich natürlich fragen.

Übrigens gibt es bei Celsus ein "futurum sit, ut":
tum considerare, quantulo detracto futurum sit, ut naturaliter se habeat.
(Cels. Med. 7, 7, 12)
Es geht also, aber üblich ist es wohl nicht.

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Re: "dürfen"

Beitragvon Zythophilus » Di 21. Okt 2014, 21:44

Gibt es indirekte Fragen, bei denen die Form liceat mit einer eindeutig auf die Zukunft weisenden Zeitangabe wie eben cras oder mox steht?
Sicher kann man formulieren: Simne sibi concessurus, ut cras me uisitet, quaerit.
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Re: "dürfen"

Beitragvon ille ego qui » Fr 24. Okt 2014, 23:37

RM hat geschrieben:nescio an ist jedoch praktisch ein feststehender Ausdruck (der, so weit ich sehe, nie getrennt wird), den man in diesem Zusammenhang nicht so richtig als frei formulierte indirekte Frage zählen kann.
Die Römer hätten den zu Beginn von marcus03 formulierten Satz jedoch sicher verstanden. Ob sie ihn als etwas seltsam formuliert aufgefasst hätten, kann man sich natürlich fragen.

Übrigens gibt es bei Celsus ein "futurum sit, ut":
tum considerare, quantulo detracto futurum sit, ut naturaliter se habeat.
(Cels. Med. 7, 7, 12)
Es geht also, aber üblich ist es wohl nicht.

8) RM


"an" wird von rhh angeführt nach verschiedenen ausdrücken von nicht-wissen und zweifeln. es fehlt dort der Hinweis, dass es bei cicero überhaupt nur nach nescire vorkommt. Aber wohl zu Recht wird für die besagten ausdrücke für "an" die nicht-neutrale Übersetzung "ob nicht" angegeben. Ich frage mich nun: Ab wann wird "an" sozusagen neutral - oder gilt die "ob nicht"-Bedeutung ohnehin nur nach besagten Ausdrücken? und bleibt sie bei diesen Ausdrücken auch später bestehen?
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