wörtliche Übersetzung

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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wörtliche Übersetzung

Beitragvon marcus03 » Mo 20. Mai 2024, 14:59

Turpia tot tumulo defixit crimina Balbus,
post superos spurco Tartara more premens.
pro facinus! finita nihil modo vita retraxit.
luxuriam ad Manes moecha sepulcra gerunt.

[Anthologia Latina 314]

Wie kann man das möglichst wörtlich übersetzen?

Meine ÜS:
Auf sein Grab hat Balbus schändliche Verbrechen geschrieben,
nach den Göttern bedrängt/belästigt er auf schmutzige Weise (nun) die Unterwelt:
Was für eine Schandtat/Skandal! Nachdem er sein Leben soeben beendet hat, hält er nichts zurück.
Bei den Seelen der Toten treibt sein ehebrecherisches Grab Schwelgerei
(= als Toter schwelgt er im Ehebruch/ in Unmoral).
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Sapientius » Mo 20. Mai 2024, 18:32

Nachdem er sein Leben soeben beendet hat, hält er nichts zurück.


Ich würde das anders konstruieren; nicht abl. abs., sondern vita ist Subjekt! "Das soeben beendete Leben hielt ihn nicht zurück", konnte ihn nicht zurückhalten; nihil = nachdrückliches non.
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Tiberis » Mo 20. Mai 2024, 20:55

Turpia tot tumulo defixit crimina Balbus,
post superos spurco Tartara more premens.
pro facinus! finita nihil modo vita retraxit.
luxuriam ad Manes moecha sepulcra gerunt.

So viele Schandtaten hat B. an sein Grab geheftet*,
und nach den Lebenden traktiert er jetzt die Toten mit seinen Schweinereien.
Wie empörend! Sein eben beendetes Leben hielt nichts davon zurück,
und als ehebrecherischer Toter treibt er jetzt seine Ausschweifungen im Totenreich.

* etwa im Sinne von: ..hat B. mit in sein Grab genommen
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon ille ego qui » Di 21. Mai 2024, 00:06

Sapientius hat geschrieben:
Nachdem er sein Leben soeben beendet hat, hält er nichts zurück.


Ich würde das anders konstruieren; nicht abl. abs., sondern vita ist Subjekt! "Das soeben beendete Leben hielt ihn nicht zurück", konnte ihn nicht zurückhalten; nihil = nachdrückliches non.


Zuerst mal wäre zu klären, ob es ein Ablativus absolutus ist oder nicht - und dafür reicht die Metrik. Und diese sagt uns: Nein, es ist keiner :)
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Tiberis » Di 21. Mai 2024, 00:31

Sapientius hat geschrieben:"Das soeben beendete Leben hielt ihn nicht zurück", konnte ihn nicht zurückhalten; nihil = nachdrückliches non.

Das ist nicht nur wenig sinnvoll, sondern leider auch falsch. nihil ist Objekt zu retraxit und bezieht sich auf die crimina turpia, die Balbus zu Lebzeiten, also in der sogenannten Oberwelt, begangen hat. D.h. also, nicht einmal sein Tod (vita finita) vermochte es, dass seine Schandtaten auf das Diesseits beschränkt blieben.
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon marcus03 » Di 21. Mai 2024, 08:51

Tiberis hat geschrieben:D.h. also, nicht einmal sein Tod (vita finita) vermochte es, dass seine Schandtaten auf das Diesseits beschränkt blieben.

Danke, das war auch meine Interpretation.

vita finita könnte man übersetzen mit: er(Balbus) nach seinem kürzlichen Tod ??
frei: nicht einmal nach seinem kürzlichen Dahinscheiden/Abgang lässt er von seinen Schandtaten ab

Metonymie: abstractum pro concreto ??

Ich sehe: vita finita ist Nom. (wegen der Metrik)

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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Sapientius » Di 21. Mai 2024, 09:23

... vermochte es, dass seine Schandtaten auf das Diesseits beschränkt blieben.


Tiberis, du machst ja das nihil auch nicht zum Objekt! Also: " ... vermochte es, ihn abzubringen, Abstand zu nehmen, abzuschrecken, aufzuhören mit ..."

Das Motiv, dass Verstorbene weiter Lebenszeichen von sich geben, gehört zu den Grabepigrammen, am bekanntesten bei uns ist Schillers "Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, ...", Stoff für patriotische Erziehung. Bekannt war auch in der Antike das Epigramm von Kallimachos, Dialog mit einem Passanten am Grabstein: "Wie ist es da unten?", "Stockfinster!", ... "Wie ist es mit Auferstehung?", "Alles Schwindel! (pseudos)".
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Tiberis » Di 21. Mai 2024, 10:03

Sapientius hat geschrieben:Tiberis, du machst ja das nihil auch nicht zum Objekt!

bitte genau lesen:
Tiberis hat geschrieben: Sein eben beendetes Leben hielt nichts davon zurück

8)
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon marcus03 » Di 21. Mai 2024, 10:59

Sapientius hat geschrieben: "Wie ist es mit Auferstehung?", "Alles Schwindel! (pseudos)".

Was auch historisch sicher so stimmt. Die Schilderungen in den Evangelien entbehren jeder Faktizität.
Es sind reine Bilder als Interpretament einer Bewusstseinerfahrung oder Widerfahrnisse, wie
Willy Marxsen es erklärt. (Die Auferstehung Jesu als historisches und theologisches Problem, 1964)

Für Marxsen gab es eine ungebrochene Kontinuität zwischen dem durch das Wirken des Menschen Jesus schon zu dessen Lebzeiten hervorgerufenen Glauben und dem nachösterlichen christlichen Glauben (Jesus-Kerygma).
Marxsen formulierte in seinen Lehrveranstaltungen sinngemäß stets: „Ostern bedeutet, dass der am Kreuz ‚gescheiterte‘ Glaube neu gewagt wurde“, wobei er die Inhalte des nachösterlichen Glaubens als im Prinzip die gleichen sah wie diejenigen zur Zeit des Lebens und Wirkens Jesu. Er bezeichnete die Auferstehung Jesu als „Widerfahrnis des Sehens“ gegenüber seinen Jüngern und als ein „zeitbedingtes Interpretament“.


Dass die Sache Jesu weitergeht, ist das Entscheidende (vgl. Missionsbefehl).
Über den Verbleib der Person kann man nur spekulieren. Und das hat keinen praktischen Nutzen,
Ob Jesus bei Gott ist oder verwest wie jeder andere Leichnam (Gert Lüdermann) spielt für das
zu lebende Christentum und seine Botschaft keine Rolle.
Wer nur hilft, weil er in den dubiosen Himmel will, hat nichts verstanden.
Hier hilft Kant weiter, wenn er von Pflicht spricht und auf die goldene Regel verweist,
die man modern mit den Biophilie-Prinzip (Rupert Lay) übersetzen kann.

Wenn Gott gehandelt hat und Jesus bei diesem ist für immer, heißt das nichts anderes, als dass radikale Liebe Zukunft hat, welcher Art auch immer.
Alles andere ist reine Spekulation voller Bilder und auch leider Leerformeln, die
a) der heutige Mensch kaum noch versteht
b) zur Lösung konkreter Lebensfragen und -probleme nicht hilfreich sind.
Mehr als zum Glauben an die Macht der Liebe konnte auch Jesus nicht auffordern.
https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_Marxsen
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Sapientius » Di 21. Mai 2024, 18:01

"Alles Schwindel! (pseudos)". ... Was auch historisch sicher so stimmt. Die Schilderungen in den Evangelien entbehren jeder Faktizität.


Für die kirchliche Praxis zählt nur der Wortlaut des Credos: "resurrexit tertia die". Die Evangelien berichten sehr zurückhaltend, es ist nur vom leeren Grab die Rede; nie wird gesagt, dass Jesus an seine frühere Aktivität angeknüpft habe. In der Emmaus-Szene finden wr uns wieder.
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon ille ego qui » Mi 22. Mai 2024, 07:05

Bei den Seelen der Toten treibt sein ehebrecherisches Grab Schwelgerei


Statisches „bei“ ist im Zusammenhang mit Personen - und dazu zählen Manen ja in etwas weiterem Sinne - praktisch ausnahmslos „apud“. Und „ad“ hat im Zusammenhang mit diesen immer die Bedeutung „zu … hin“. So wird es in den Stilübungen gelehrt und auch in der Poesie sind mir bisher keine Gegenbeispiele aufgefallen. An fallor?
Beispielsweise ist kaum vorstellbar, dass „ad Germanos“ heißen soll „bei den Germanen“. Das wäre eben „apud Germanos“. Hingegen ist natürlich „ad Germanos ire (!)“ ganz unauffällig.
Daher würde ich postulieren, dass „aliquid gerere ad aliquem“ hier in seiner Grundbedeutung „etwas zu jemandem tragen“ (freilich metaphorisch) gemeint sein müsste.
Quid sentitis?
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon marcus03 » Mi 22. Mai 2024, 09:59

Sapientius hat geschrieben:In der Emmaus-Szene finden wr uns wieder.

Auch das ist eine literarische Fiktion. Da taucht plötzlich ein Jünger auf, die vorher noch nie erwähnt wurde.

Sapientius hat geschrieben:Für die kirchliche Praxis zählt nur der Wortlaut des Credos: "resurrexit tertia die".

Was immer das konkret heißen mag! Historisch ist daran nichts, eine erfundene Geschichte als Interpretament
und Theogogoumenon des hoch gebildeten Autors (und Arztes??) des Lukas-Evangeliums.
Er stand wieder auf im Bewusstsein seiner Anhänger, die über ihn und sein Wirken reflektierten und zu
bestimmten Überzeugungen kamen.
vgl:
https://bibliographie.uni-tuebingen.de/ ... sequence=1
Ein leeres Grab hat es nie gegeben (Lüdemann). Für den Menschen Jesus gelten dieselben Naturgesetze wie für jeden anderen Menschen auch. Über die Art der Auferweckung kann nur spekuliert werden.
Sie entzieht sich völlig dem hisorischen Zugriff.
Wann Gott wie und ob überhaupt handelt, ist reine Glaubenssache.

Die Bibel ist und war immer ein Glaubensbuch, nie ein Geschichtswerk im heutigen Sinn.
Wer sie verstehen will, kommt nicht aus ohne Religionspsychologie, - philosophie. - soziologie und
vor allem nicht ohne eine radikale histoisch-kritische Exegese.

Jeder einer Mindestvernunft und Mindesthumanität widersprechende Religion ist gefährlicher Unsinn
mit fatalen bis grausamen und tödlichen Folgen, wie die Religionsgeschichte immer wieder gezeigt hat.
v.a. wenn Fanatismus und Exklusivansprüche ins Spiel kommen, ist größte Vorsicht geboten.

Wer im Namen seines Gottes gar Menschen umbringt oder umbringen lässt, dasavouiert sich
qua solchen Tun völlig und ist mit allen rechtlichen Mittel zu bekämpfen.
Die Zeiten der weltlichen Macht von Religionen sind entgültig vorbei oder werden über kurz oder lang
zuende gehen. Gott, Geld und Macht ging noch nie zusammen und da, wo es der Fall war,
meist mit verheerenden Folgen und unsäglich vielen unschuldigen Opfern.

Die Religion der Zukunft wird eine religio vere humana sein oder sie wird nicht mehr sein,
was dann auch mMn gut so wäre.
Wie schwer Humanität zu prakizieren ist, erlebt man z.Z. leider auch in diesem Forum.
Wenn der böswillige Nachbar/Sodale nicht will, ... :(

Ad tempora meliora et humaniora!
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Tiberis » Mi 22. Mai 2024, 13:43

ille ego qui hat geschrieben:Statisches „bei“ ist im Zusammenhang mit Personen - und dazu zählen Manen ja in etwas weiterem Sinne - praktisch ausnahmslos „apud“. Und „ad“ hat im Zusammenhang mit diesen immer die Bedeutung „zu … hin“. So wird es in den Stilübungen gelehrt und auch in der Poesie sind mir bisher keine Gegenbeispiele aufgefallen. An fallor?


Naja, ein kurzer Blick in den Georges zeigt aber, dass dem nicht so ist. Dort finden sich gleich mehrere Beispiele (im Abs. 2 "zur Bezeichnung der Annäherung, Richtung in der Ruhe"), in denen ad + Person mit "bei" übersetzt wird, z.B. manere ad regem, esse ad exercitum usw., auch wenn das vorwiegend nachklassischer Sprachgebrauch zu sein scheint.
Außerdem bedeutet luxuriam gerere ja nicht "die Ausschweifungen irgendwohin tragen", so wie man vielleicht einen Gegenstand von A nach B trägt, sondern "sie betreiben, vollführen, vollziehen" u.dgl., genauso wie bellum gerere = einen Krieg führen, d.h. betreiben, negotium gerere = ein Geschäft machen, rem gerere = eine Angelegenheit durchführen/ausführen usw. bedeutet.
Dennoch beinhaltet ad immer auch eine Komponente der Richtung (s.o. "Richtung in der Ruhe"), d.h. , die Ausschweifungen des B. beziehen/ richten sich nach seinem Tod auf die Manen.
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon Sapientius » Mi 22. Mai 2024, 15:06

Also symbolisch gesagt: ad ist ein Pfeil und apud ein Punkt.
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Re: wörtliche Übersetzung

Beitragvon ille ego qui » Mi 22. Mai 2024, 15:41

Ah gut, dann hatte ich wohl zu sehr die klassische Prosa und wahrscheinlich den neuen Menge im Blick.
Ob „ad“ dann wirklich diesen dynamischen Aspekt haben muss, weiß ich dann tatsächlich gar nicht mehr :D (Für nicht personale Bezugswörter kaum postuliert.)
Ich gebe dann gerne zu, dass Tiberis‘ Übersetzung möglich ist.
Natürlich hätte ich bei meiner ursprünglichen Lesart NICHT die Bedeutung wie in „bellum gerere“ angesetzt, das ist klar. :-)
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