Catull

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Re: Catull

Beitragvon Tiberis » Di 29. Apr 2014, 15:20

marcus03 hat geschrieben:Unter welchen Genitivbegriff fällt der hiesige ? Ein genitivus "generis" ist mir nicht bekannt. :?

es ist naturgemäß ein gen. partitivus. interessant ist übrigens, dass dieser gen. part. manchmal verwendet wird, um anerkennung oder, wie hier, verachtung auszudrücken. "irgendeine hure" könnte man ja auch einfach mit "aliquod scortum" ausdrücken, aber in "nescioquid scorti" schwingt verachtung mit. vgl. dazu Cic.Verr.II,2,1,34 : exponam vobis, quid sit hominis.
dazu auch Menge 296.
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Re: Catull

Beitragvon Prudentius » Di 29. Apr 2014, 16:51

Liebe Teilnehmer,

ich hoffe, ihr habt den Smily bei meinem Catull-Rüffel auch wahrgenommen! :-D :-D

Dass Catull weiß, was sich gehört, sieht man auch bei dem bekannten Zweizeiler: "...quare hoc faciam, fortasse requiris".

Nescioquid ist eine Zusammenrückung aus nescio quid, das ist ja wohl unbestritten; es liegt also (wenigstens ursprünglich) ein abh. Fragesatz mit regierendem Verb vor. Wie kommt das? Vllt. kann noch jemand von euch auf den von mir angesprochenen Punkt mit den zwei geschachtelten Sätzen kommen?

lgr. P. :)
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Re: Catull

Beitragvon Tiberis » Di 29. Apr 2014, 18:22

salve Prudenti,
ich kann hier keine "verschachtelten" sätze erkennen. nehmen wir folgendes beispiel (Plaut.Pers.99):
prope me hic nescio quis loquitur. > es spricht da jemand in meiner nähe. (und nicht: ich weiß nicht, wer in meiner nähe spricht).
nicht loquitur wäre das verbum eines von dir angenommenen fragesatzes, vielmehr müsste man nescio quis , wollte man einen ursprünglichen fragesatz annehmen , verstehen als "ich weiß nicht, wer es ist". das ganze erscheint mir ähnlich unserem umgangssprachlichen "weißgottwas": z.b. "er hält sich für weiß gott was" = für alles mögliche, für etwas besonderes usw. auch hier liegt natürlich keine frage vor.
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Re: Catull

Beitragvon Prudentius » Mi 30. Apr 2014, 09:59

Salvete amici,

wir verstehen ja alle den Satz, aber:

ich kann hier keine "verschachtelten" sätze erkennen


(gehen wir von dem Plautus-Zitat aus: prope me hic nescio quis loquitur). Sieh dir nur die lat. Wortfolge an, dann haast du zwei Hauptverben, die unkoordiniert stehen, und damit zwei Sätze, "ich weiß nicht" und "jemand spricht", und dann überlagern sich die Sätze bei "quis", das einerseits einen Fragesatz zu nescio einleitet, andererseits das Subjekt zu loquiur bildet. Daher möchte ich von "zwei verschachtelten Sätzen" sprechen. Vllt. sollte ich sagen, "eigentlich" oder "ursprünglich" zwei verschachtelte Sätze.

Man kann jetzt das Unkoordinierte koordinieren, 2 Möglichkeiten: a unter b oder b unter a.
Entweder: Nescio. quis prope me loquitur,
oder Is, quem nescio, prope me loquitur (nur ganz summarisch ausgedrückt).

(und nicht: ich weiß nicht, wer in meiner nähe spricht).


Damit bin ich einverstanden, aber es ist eine von zwei Varianten.

Hallo Medice domesticus, der Menge-Abschnitt dürfte wohl allen bekannt sein, aber er erzählt hier wundersame Geschichten: "Das Fragepronomen verschmilzt mit nescio zu einem Indefinitpronomen"; nanu, wie kommt denn das Fragepronomen dazu, so zu verschmelzen? Und wieso Fragepronomen, wo doch gar keine Frage im Spiel ist? Menge bietet hier "Erzählung", wo er "Erklärung" hätte bieten sollen.

lgr. P. :)
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Re: Catull

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 30. Apr 2014, 19:58

Für mich ist die Sache klar, Prudenti. Vgl. auch die gute Erklärung von Tiberis. Es liegt kein indirekter Fragesatz vor. Ich persönlich maße mir nicht an den neuen Menge zu kritisieren, da sich Prof. Schauer et al. sicher einige Gedanken gemacht und sehr viel Arbeit in ihr Werk gesteckt haben. Du darfst nicht vergessen, dass gerade ihr als Philologen BS als ultimative Referenz gerne zitiert.
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Re: Catull

Beitragvon RM » Mi 30. Apr 2014, 20:59

Ist schon lustig, wie lange hier über diese Frage geredet wird. Natürlich ist "nescioquid" eine Art Indefinitpronomen und "febriculosi scorti" ein dazugehöriger Genitivus Partitivus. Schauen wir uns einfach folgenden Halbsatz von Cicero an: "..., non patiar te in tanto errore versari ut istud nescio quid quod tanto opere didicisti praeclarum aliquid esse arbitrere." (Cic, Mur, 23)
Daraus ergibt sich, dass sich "nescio quid" bzw. "nescioquid" (es wird in modernen Ausgaben manchmal getrennt, manchmal zusammen geschrieben) ungefähr als "das/ein Etwas" auffassen und ins Deutsche übertragen lässt. Mit Blick auf Catulls Formulierung "verum nescioquid febriculosi scorti diligis" ließe sich das als "Du aber magst so ein Etwas von einer verschnupften Dirne" verstehen. Klingt sehr abschätzig, ist wohl auch so gemeint.
Ich persönlich frage mich, nach dem wievielten Glas Rotwein Catull diese Verse wohl formuliert hat. :wink:

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Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Mi 30. Apr 2014, 21:41

Die Verse eines Neoterikers mögen spontan klingen - das sollen sie ja auch -, sind es aber normalerweise nicht.
Catull entwirft in diesem Gedicht die Situation, in der ein Bekannter leugnet, eine Freundin zu haben, Catull aber aufgrund diverser Hinweise davon überzeugt ist. Durch eine gezielte Provokation versucht er zu erreichen, dass Flavius zugibt, dass es so ist, und auch den Namen nennt. nescio quid febriculosi scorti ist natürlich eine grobe Beleidigung nach einigen anderen unfreundlichen Äußerungen über sie - den Wortlaut könnte der Dichter schon vorgefunden haben - aber er zielt damit auf Widerspruch ab. Die Situation ist also leicht vorstellbar, was freilich nicht heißt, dass es mehr als literarische Fiktion sein muss.
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Re: Catull

Beitragvon RM » Mi 30. Apr 2014, 21:47

O.k., aber die Frage nach der Anzahl der Gläser Rotwein bleibt weiterhin offen ... :wink:
Unwahrscheinlich, dass es sich um reine literarische Fiktion handelt.

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Re: Catull

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 30. Apr 2014, 21:53

Catull spekuliert doch nur, welche Frau es sein könnte. Da geht es hin und her, auch mal unter die Gürtellinie. Das Beste ist doch der Schluß, dass er das Paar mit seinen Versen unsterblich machen will:
...volo te ac tuos amores
ad caelum lepido vocare versu
.
Das ist doch das Geniale an Catull und bis heute nicht nachzuahmen. Ich denke mir immer, dass die Zuhörer als lateinische Muttersprachler da gespannt zugehört haben und auch dementsprechend gelacht und sich amüsiert haben, auch im entsprechenden Ambiente und Gelage, das RM anspricht.. :lol:
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Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Mi 30. Apr 2014, 22:27

Catull macht sie unsterblich und auch nicht. Wir haben einen Namen und eine negativ beschriebene namenlose Dame.
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Re: Catull

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 30. Apr 2014, 22:31

Denk doch an das Ambiente....Bei welchen Feiern und Zusammenkünften wurden solche Gedichte vorgetragen? Das war doch eine Lachnummer... :)
Medicus Domesticus hat geschrieben:Ich denke mir immer, dass die Zuhörer als lateinische Muttersprachler da gespannt zugehört haben und auch dementsprechend gelacht und sich amüsiert haben, auch im entsprechenden Ambiente und Gelage, das RM anspricht...
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Re: Catull

Beitragvon RM » Mi 30. Apr 2014, 23:18

Naja ... ich würde da, wie dieser Flavius beschrieben wird, nicht von einem Paar reden. Ich glaube, Catull ahnt oder weiß, wer sie ist und ärgert sich, dass sich Flavius mit so einer einlässt. Aber in den letzten beiden Versen gipfelt der Spott in Form einer angekündigten Bloßstellung, auf die sich Flavius, den Catull richtig einschätzend, ja wohl nicht eingelassen hat.

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Re: Catull

Beitragvon Medicus domesticus » Mi 30. Apr 2014, 23:24

Paar ist doch in Anführungsstriche. Es geht doch um die allgemeine Situation, die bei Gelagen herrschte..
Catull war doch in der höheren Gesellschaft etabliert. Es ging doch um Unterhaltung. Ihr geht m.E. viel zu stark wörtlich vor. Catull beschreibt in ironischer Weise oft das allgemeine Gehabe der damaligen Zeit.
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Re: Catull

Beitragvon RM » Do 1. Mai 2014, 00:11

Etabliert? Vielleicht als Narr und Vorzeigedichter. Ich glaube jedoch nicht, dass Catull zur High Society Roms gehörte, vielleicht zur gehobenen Mittelschicht Veronas. Als Dichter wurde er sicherlich gelegentlich zur Aufheiterung der Gäste eingeladen, sonst aber klingt es nicht so, als hätte er viele Freunde gehabt.

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Re: Catull

Beitragvon Zythophilus » Do 1. Mai 2014, 08:58

Man darf Catull-Gedichte nicht für spontane Reaktionen auf eine jeweils aktuelle Situation halten. Es ist die Kunst, dass sie so wirken.
Nehmen wir einmal an, dass die Lesbia-Gedichte auf einer realen Beziehung basieren - den Ansatz, dass es sich um eine rein literarische Fiktion handelt, gibt es allerdings auch -, so heißt das nicht, dass ein Gedicht wie c. III am Sterbetag des Vogels oder unmittelbar danach entstand. Ja, es muss nicht einmal bedeuten, dass Lesbia einen passer hatte, auch wenn mir das wahrscheinlich vorkommt.
Flauius wird immer als "nicht näher bekannter Freund" des Catull bezeichnet. Möglicherweise hatte Catull einen Freund namens Flauius, und vielleicht hatte dieser Flauius eine Freundin, die er versteckte. Vielleicht ist Flauius aber einfach nur ein Name, und Catull skizziert ein Szenario, das einem Leser damals wie heute bekannt vorkommt, ohne dass ein konkreter Fall aus seinem Umfeld direkt die Vorlage bildet.
Catulls Gedichte als Steinbruch für eine Biographie zu verwenden, ist problematisch, auch wenn es irgendwie schade für unser Catull-Bild wäre, falls Lesbia gar nicht wirklich sich in quadriviis et angiportis herumtrieb.
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