Rots Vorrede.

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Rots Vorrede.

Beitragvon Laptop » Mo 27. Mai 2013, 13:48

Salvete. Bei folgender Vorrede habe ich einige Unklarheiten.

1. das "cum" kann ich nicht einordnen, ist es ein cum causale oder cum temporale?
2. steht das "quos" nur mit dem Prädikat "expertus sum" in Verbindung oder erstreckt es sich auch noch bis zum "putavi"? M. E. nicht bis zum putavi, da mit putavi schon das pronomen "illos" verbunden ist, richtig?
3. absit verbo invidia: was bedeutet das hier ...
a) er möchte kein Mißfallen erwecken => meine Rede soll kein Mißfallen wecken
b) er meint seine eigene Gehässigkeit, Vermessenheit => fern sei meiner Rede Gehässigkeit
4. Was hat es mit dem "mecum" auf sich? was bedeutet es hier?

Symon Roth candido lectori bonam mentem exoptat. Scripſi, vel collegi potius, in Scholæ meæ uſum Dialogos quoſdam, admodum pueriles, res & actiones communes, hoc eſt, nomina & verba quotidiano ſermone magis familiaria continentes, quos cum non adeo inutiles (abſit verbo inuidia) ſed puerilibus ingenijs accommodos & iucundos eſſe expertus ſum, duas ob cauſas (licet ſciam, me hoc puerili labore poſticam ſannam eſſe lucraturum) illos imprimendos eſſe putaui cum ut alijs quoque hac opella utcunque prodeſſem, tum ut meos diſcipulos hoc ſcribendi onere leuarem: ad hæc quòd uſu didici, tenellos puſiones omnia ex impreſsis libellulis facilius percipere quàm manu ſcriptis. ſunt enim plerunque pædagoguli noſtri in ſcribendis huiuſmodi quotidianis latinis negligentiores. Vtantur igitur mecum hac opera candidi: Momus uerò cum ſuis diſcipulis ualeat. Vale & tu teneræ pubis formator optime. Datæ Neotingæ Bauarorum. Anno virginei partus, M. D. LVI.

hier noch meine Übersetzung, ich hoffe, daß sie richtig ist:
Symon Roth candido lectori bonam mentem exoptat.
Simon Rot wünscht dem redlichen Leser eine gute geistige Verfassung.
Scripſi, vel collegi potius, in Scholæ meæ uſum Dialogos quoſdam, admodum pueriles,
In meiner Schulpraxis habe ich einige ziemlich kindische Dialoge verfaßt, bzw. besser gesagt angesammelt,
res & actiones communes, hoc eſt, nomina & verba quotidiano ſermone magis familiaria continentes,
die gewöhnliche Dinge und Verrichtungen enthalten, d. h., in der Alltagssprache recht geläufige Nomen und Verben,
quos cum non adeo inutiles (abſit verbo inuidia) ſed puerilibus ingenijs accommodos & iucundos eſſe expertus ſum,
die ich (cum?) als nicht so unnütz (fern sei dabei jede Vermessenheit), sondern für den kindlichen Verstand angemessen (=kindgerecht) und ansprechend erfahren habe.
duas ob cauſas (licet ſciam, me hoc puerili labore poſticam ſannam eſſe lucraturum) illos imprimendos eſſe putaui
Aus zwei Gründen (ich weiß freilich, daß ich mir durch diese kindische Arbeit einhandele zum heimlichen Spott zu werden) hielt ich sie für druckenswert:
cum ut alijs quoque hac opella utcunque prodeſſem, tum ut meos diſcipulos hoc ſcribendi onere leuarem:
zum einen, damit ich auch Anderen durch dieses kleine Werk irgendwie nützen konnte, zum anderen damit ich meine Schüler von dieser Bürde es (ab-)zuschreiben befreien konnte.
ad hæc quòd uſu didici, tenellos puſiones omnia ex impreſsis libellulis facilius percipere quàm manu ſcriptis.
Dazu kommt, daß ich aus der Praxis gelernt habe, daß die zarten Winzlinge aus gedruckten Büchlein alles leichter erfassen als aus Handgeschriebenen.
ſunt enim plerunque pædagoguli noſtri in ſcribendis huiuſmodi quotidianis latinis negligentiores.
Meist sind unsere Pädagogen nämlich beim Schreiben von dergleichen Alltags-Latein eher nachlässiger. => meint der Autor damit sie kritzeln mit einer unleserlichen Sauklaue?
Vtantur igitur mecum hac opera candidi: Momus uerò cum ſuis diſcipulis ualeat.
Daher sollen die, die es mit mir wohl meinen aus diesem Werk Nutzen ziehen; ein Nörgler aber soll sich mit seinen Schülern wohl gehaben.
Vale & tu teneræ pubis formator optime.
Leb auch du wohl, mein bester Erzieher der Jugend.
Datæ Neotingæ Bauarorum.
Aufgegeben in Neuötting am Inn.
Anno virginei partus, M. D. LVI.
Im Jahre des Herrn 1556.
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Tiberis » Mo 27. Mai 2013, 22:27

Laptop hat geschrieben:1. das "cum" kann ich nicht einordnen, ist es ein cum causale oder cum temporale?

2. steht das "quos" nur mit dem Prädikat "expertus sum" in Verbindung oder erstreckt es sich auch noch bis zum "putavi"? M. E. nicht bis zum putavi, da mit putavi schon das pronomen "illos" verbunden ist, richtig?

3. absit verbo invidia: was bedeutet das hier ...
a) er möchte kein Mißfallen erwecken => meine Rede soll kein Mißfallen wecken
b) er meint seine eigene Gehässigkeit, Vermessenheit => fern sei meiner Rede Gehässigkeit
4. Was hat es mit dem "mecum" auf sich? was bedeutet es hier?


ad 1) wohl temporale, da kein konjunktiv. allerdings besteht sehr wohl ein kausaler zusammenhang.
ad 2) richtig
ad 3) s.u. (übersetzung ist richtig)
ad 4) s.u.
Symon Roth candido lectori bonam mentem exoptat.
Simon Rot wünscht dem redlichen Leser eine gute geistige Verfassung.
Scripſi, vel collegi potius, in Scholæ meæ uſum Dialogos quoſdam, admodum pueriles,
zu meinem schulgebrauch habe ich einige ziemlich kindliche Dialoge verfaßt, bzw. besser gesagt angesammelt,
res & actiones communes, hoc eſt, nomina & verba quotidiano ſermone magis familiaria continentes,
die gewöhnliche Dinge und Verrichtungen enthalten, d. h., in der Alltagssprache recht geläufige Nomen und Verben,
quos cum non adeo inutiles (abſit verbo inuidia) ſed puerilibus ingenijs accommodos & iucundos eſſe expertus ſum,
als ich diese (dialoge) als nicht so unnütz (fern sei dabei jede Vermessenheit)*, sondern für den kindlichen Verstand angemessen (=kindgerecht) und ansprechend erfahren habe,
duas ob cauſas (licet ſciam, me hoc puerili labore poſticam ſannam eſſe lucraturum) illos imprimendos eſſe putaui
*vgl. Liv.9.19. 36,7
hielt ich sie aus zwei Gründen (ich weiß freilich, daß ich mir durch diese kindische Arbeit einhandele zum heimlichen Spott zu werden) für druckenswert:
cum ut alijs quoque hac opella utcunque prodeſſem, tum ut meos diſcipulos hoc ſcribendi onere leuarem:
zum einen, damit ich auch Anderen durch dieses kleine Werk irgendwie nützen konnte, zum anderen damit ich meine Schüler von dieser Bürde es (ab-)zuschreiben befreien konnte. (hoc kann natürlich auch akk.sg. sein. ich halte das sogar für wahrscheinlicher)
ad hæc quòd uſu didici, tenellos puſiones omnia ex impreſsis libellulis facilius percipere quàm manu ſcriptis.
Dazu kommt, daß ich aus der Praxis gelernt habe, daß die zarten Winzlinge aus gedruckten Büchlein alles leichter erfassen als aus Handgeschriebenen.
ſunt enim plerunque pædagoguli noſtri in ſcribendis huiuſmodi quotidianis latinis negligentiores.
Meist sind unsere Pädagogen nämlich beim Schreiben von dergleichen Alltags-Latein ziemlich nachlässig. => meint der Autor damit sie kritzeln mit einer unleserlichen Sauklaue?
Vtantur igitur mecum hac opera candidi: Momus uerò cum ſuis diſcipulis ualeat.
Daher sollen die, die es ehrlich meinen, zusammen mit mir dieses werk benützen; ein Nörgler aber soll sich mit seinen Schülern wohl gehaben.
Vale & tu teneræ pubis formator optime.
Leb auch du wohl, mein bester Erzieher der Jugend.
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Laptop » Di 28. Mai 2013, 02:07

Danke Tiberis für die hilfreiche Unterstützung. Zu meiner Irritation hat die ungewohnte Interpunktion beigetragen. Da sollte ich wohl in der Übersetzung aus manchem Komma einen Satzpunkt machen.

Was das "hoc" betrifft bin ich auch hin- und hergeschwankt. Ich habe dich so verstanden, daß du für diesen Satzsinn votierst: … damit ich meine Schüler von der Bürde _dieses_ (ab-)zuschreiben …

Zu absit invidia habe ich eine Nachfrage. Ich habe gelesen, daß diese Stelle bei Livius mit dem Sinn “fern sei Vermessenheit der Rede” übersetzt werden soll, aber wie ist das zu erklären? “Vermessenheit” ist vom Sinn her weit entfernt von invidia als “Neid, Mißgunst, Scheelsucht”, etc. Ich verstehe “Vermessenheit” eher als synonym zur Anmaßung (arrogantia). In den Kontext passen würde eventuell, ich zitiere: «die gehässige Beurteilung od. Anschuldigung, die Anfeindung, Verdächtigung, der gehässige Vorwurf, die Vorwürfe». Das führt Georges unter invidia auf. “Vermessenheit” allerdings nicht. Vor allem würde ich gerne wissen, ob invidia hier das meint, was vom Autor ausgeht, oder das, was vom Leser ausgeht / ausgehen könnte. Z. B. die Anschuldigung seitenes des Autors oder aber die Anschuldigung seitens des Lesers?
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Tiberis » Di 28. Mai 2013, 09:30

salve,

zu "absit invidia verbo" : Klotz führt das als sprichwörtliche wendung an und übersetzt: "ohne prahlerei gesagt", was allerdings auch nicht so ganz überzeugend klingt. momentan habe ich leider keine zeit, um nachzudenken, wie die entsprechende phrase im deutschen lautet, aber es gibt sie sicher. auf jeden fall aber ist invidia "seitens des lesers" zu verstehen!
bzgl. hoc hast du mich richtig verstanden. ;-)
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Medicus domesticus » Di 28. Mai 2013, 09:54

Reclam führt es im Zitatenlexikon:
Absit invidia verbo:
Mißgunst sei dem Worte fern!
(Dh. mit Verlaub, mit Respekt).
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Laptop » Di 28. Mai 2013, 12:18

… auf jeden fall aber ist invidia "seitens des lesers" zu verstehen!
@Tiberis Danke, dieser Hinweis bringt mich auf die richtige Fährte.

@medicus @Tiberis Das klingt für mich als ob es eine synonyme Formel zu "sit venia verbo" (mit Verlaub gesagt) darstellt, bloß mit der begrifflichen Umkehrung:
der Leser soll es entschuldigen (venia) == der Leser soll es nicht anschuldigen (invidia).
Wie man zur Übersetzung "Vermessenheit" kommt verstehe ich nicht.
Ich habe es nun wie folgt glossiert: eine alternative Formel zu “sit venia verbo” (bitte um Verzeihung für diesen Ausdruck) war “absit verbo invidia” (bitte keine Übelnahme für diesen Ausdruck) Ich hoffe das kann ich so stehen lassen.
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Tiberis » Mi 29. Mai 2013, 14:42

Laptop hat geschrieben:Ich habe es nun wie folgt glossiert: eine alternative Formel zu “sit venia verbo” (bitte um Verzeihung für diesen Ausdruck) war “absit verbo invidia” (bitte keine Übelnahme für diesen Ausdruck) Ich hoffe das kann ich so stehen lassen.

ja, genauso verstehe ich es auch (> man möge es mir nicht übelnehmen).
die invidia ist auf seiten des lesers. würde man mit "vermessenheit" u.dgl. übersetzen, wäre das zwar ungefähr auch sinnentsprechend (die invidia wäre dann auf seiten des schreibers), aber von der wortwahl her doch sehr frei...
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Re: Rots Vorrede.

Beitragvon Laptop » Mi 29. Mai 2013, 17:49

@Tiberis Danke, damit bleiben keine Fragen mehr offen. :)
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