etwas aenigmatisch das ganze....
Architektur
Unter dem leichten Geschlecht erscheinst du schwer und bedächtig,
Aber zu Regel und Zucht winkst du die Schwestern zurück.
Hüpfe nur, leichtes Geschlecht, ich Gefesselte kann dir nicht folgen,
Aber ich weiß zu ruhn und auf mir selber zu stehn.
Freilich kann ich dich nicht in schlängelnden Wellen umspielen,
Aber mein Dasein faßt mächtig wie keines dich an.
Dechiffrier-Anregung:
Goethe und Schiller formulieren in den Xenien Distichen - kunstvoll
klassisch gebaut - sie setzen die Baukunst in eine verwandtschaftliche Beziehung, so scheint mir: Schwestern
Geschwister dieser materialbehandelnden "schwergewichtigen" Bau-Kunst finden sich im Kreis der
Musen, der
artes liberales und nicht nur im Kreis der
artes mechanicae.
Ein edler Philosoph sprach von der Baukunst als einer erstarrten Musik und musste dagegen manches Kopfschütteln gewahr werden. Wir glauben diesen schönen Gedanken nicht besser nochmals einzuführen, als wenn wir die Architektur eine verstummte Tonkunst nennen.
Man denke sich den Orpheus, der, als ihm ein großer wüster Bauplatz angepriesen war, sich weislich an den schicklichsten Ort niedersetzte und durch die belebenden Töne seiner Leier den geräumigen Marktplatz um sich her bildete. Die von kräftig gebietenden, freundlich lockenden Tönen schnell ergriffenen, aus ihrer massenhaften Ganzheit gerissenen Felssteine mussten, indem sie sich enthusiastisch herbeibewegten, sich kunst- und handwerksgemäß gestalten, um sich sodann in rhythmischen Schichten und Wänden gebührend hinzuordnen. Und so mag sich Straße zu Straße anfügen! An wohl schützenden Mauern wird’s auch nicht fehlen.
Die Töne verhallen, aber die Harmonie bleibt. Die Bürger einer solchen Stadt wandeln und weben zwischen ewigen Melodien; der Geist kann nicht sinken, die Tätigkeit nicht einschlafen, das Auge übernimmt Funktion, Gebühr und Pflicht des Ohres, und die Bürger am gemeinsten Tage fühlen sich in einem ideellen Zustand: Ohne Reflexion, ohne nach dem Ursprung zu fragen, werden sie des höchsten sittlichen und religiösen Genusses teilhaftig. Man gewöhne sich, in Sankt Peter auf und ab zu gehen, und man wird ein Analogon desjenigen empfinden, was wir auszusprechen gewagt.
Der Bürger dagegen in einer schlecht gebauten Stadt, wo der Zufall mit leidigem Besen die Häuser zusammenkehrte, lebt unbewusst in der Wüste eines düsteren Zustandes; dem fremden Eintretenden jedoch ist es zumute, als wenn er Dudelsack, Pfeifen und Schellentrommeln hörte und sich bereiten müsste, Bärentänzen und Affensprüngen beizuwohnen.
Goethe Maximen und Reflexionen 1133