quo mentes sese flexere viai?

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon ille ego qui » So 6. Apr 2014, 19:48

salvete,
ich bin mir immer nicht ganz sicher bei der Syntax dieser berühmten Ennius-Hexameter:

Quo vobis mentes rectae quae stare solebant 
antehac, dementes sese flexere viai?

Mein verschlag wäre, viae als genitivus (part?) von quo abhängig zu machen (vgl. ubi terrarum sowie deutsch "wohin des Weges".

valete:)
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon RM » So 6. Apr 2014, 20:05

Hat Dich da meine ciceronianische Perfekt-Endungs-Aufzählung drauf gebracht? :)
Tja, möglich wäre es. Hoffentlich stimmt der Originaltext überhaupt ...

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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Zythophilus » So 6. Apr 2014, 20:31

Gibt es Belege für quo uiae in diesem Sinn?
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon RM » So 6. Apr 2014, 21:35

Scheint nicht so.

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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon ille ego qui » So 6. Apr 2014, 21:59

Ne cicero und sein cato :)
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon consus » Mo 7. Apr 2014, 00:17

Salve, Christiane! Noch zu später Stunde ganz schnell ein Hinweis auf Skutschs Deutung.
Enn. ann. 199sq. (Skutsch)
Quo vobis mentes, rectae quae stare solebant
antehac, dementes sese flexere Ϯvia?

O. Skutsch im Ennius-Annalen- Kommentar zu Ϯvia (Oxf. 1985, S. 361f.), hier nur in Kurzform:
1. „Lambinus‘ uiai is the easiest correction imaginable (Lachmann on Lucr. 1. 29) but it is senseless and ungrammatical. The contrast to ‘standing upright’ can only be ‘stooping’, not ‘taking the wrong road…” Skutsch verwirft, Begründungen präsentierend, die Erklärungsversuche für uiai (Knapp, Anderson: “Grecizing ablatival genitive with flexere"; Vahlen: “partitive genitive with quo”).
2. Skutschs Lösungsvorschlag erfolgt im Hinblick auf die antithetische Struktur des Satzes:
"mentes is answered by dementes, stare solebant by sese flexere; hence rectae should have its own contrast in uietae (Scaliger)."
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon ille ego qui » Mo 7. Apr 2014, 09:07

o! gratias tibi ago.
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Sokrates » Mo 7. Apr 2014, 17:09

Salvete,

ich habe derzeit leider keinen Kommentar bzw. textkritischen Apparat vorliegen, aber genau diese beiden Erklärungen sind mir spontan auch gekommen, nämlich dass viai, wenn man diese Lesart schon akzeptiert, im Grund nur ein ablativischer Genitiv sein kann, oder der von ille vermutete partivtive nach adverbialen Pronomen oder Adverbien. Letzterer schien mir eher möglich, jedoch wäre dieses prominente Hyperbaton vom Sinn und auch vom Versmaß her kaum zu rechtfertigen. Separative Verwendung würde die Stellung zwar entlasten, wirkt aber doch allzu griechisch.
vietae wäre natürlich eine angenehme Alternative, darauf wäre ich so nur nicht gekommen…
Nur, wie ist es dann mit der Funktion?
Man hat ja im Relativsatz ein Prädikativum: rectae stare solebant, also wie im L häufig ein prädikatives Adjektiv im Sinne eines Adverbs im D, und parallel dazu wäre eben vietae im HS zu werten, esse flexere vitae.
Wo bringt man dann aber das die Antithese zu mentes, de-mentes, unter? Und wie übersetzt man dies?
Wie hat man denn dann quo aufzufassen, als Richtungsangabe zu esse flexere, was dementes noch rätselhafter macht, auch wenn man es ebenfalls prädikativ fassen will.
via mit langem a läge also auch nahe, als Separativ sogar syntaktisch poetisch einwandfrei, ebenfalls eine Trennungsangabe zu flexere, nur wie gliedert es sich ins Metrum ein?


Allzu schwere Denkfehler möge man mir angesichts der tropischen Hitze hier verzeihen...
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Medicus domesticus » Mo 7. Apr 2014, 21:32

Die Meinungen gehen sehr auseinander. Vgl.consus. Besser ist selber nachzuschlagen. Viele gehen von quo in Verbindung mit viai aus. Eine wirklich richtige Meinung gibt es hier nicht. Wieder ein Beleg für mich, dass wir keine Muttersprachler des Lateinischen sind und eigentlich solche Dinge nicht wirklich nachvollziehen können.
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Sokrates » Mo 7. Apr 2014, 22:29

Salvete

ja, wie recht du hast. Man kann so ausgeklügelte Erklärungen anführen wie die Kommentare oder sich auf sein je nach Erfahrung und Eignung enormes Wissen stützen, aber hier stößt die Philologie an ihre Grenzen, sowohl was rein "technische" Gründe wie die teils verschlungene Überlieferungsgeschichte mancher Textstellen betrifft als auch insbesondere auf eine mitunter allzu schillernde und krude Syntax.
Da muss man ehrfürchtig die Segel streichen und die alten Sprachen achten, umso mehr, je weniger man ihnen gerecht werden kann.


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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Zythophilus » Mo 7. Apr 2014, 23:09

Die Form uiai ist offenbar eine Konjektur, wobei die überlieferte Form uia, die nicht an den Schluss des Verses passt, falsch sein muss. Die bei Ennius zwar mögliche, aber doch seltene alte Version des Gen. zu konjizieren und diesen dann noch als Gen.part. auf ein an der Spitze des vorherigen Verses stehendes quo zu beziehen - die Kombination quo uiae scheint auch ohne so ein extremes Hyperbaton sonst nicht vorzukommen -, ist gewagt.
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Sokrates » Di 8. Apr 2014, 09:20

Salvete,

ja, genau das meinte ich. Syntaktisch ist via geschmeidig, metrisch eine Katastrophe. Vietae möglich.


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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon consus » Di 8. Apr 2014, 10:26

Sokrates hat geschrieben:... Vietae möglich...
Sehe ich entschieden auch so. Skutschs Argumentation (a.a.O.) sieht sehr überzeugend aus; Scaligers vietae stützt er dabei durch zwei weitere Hinweise:
1. Varros Erklärung dieses Adjektivs: flexum velut incurvum vietum veteres dixerunt (vgl. Aug. dialect. 6)
2. Auch an einem zweiten Ort in Ciceros Cato de senectute gibt es in Bezug auf vietus textkritische Probleme. In Cato 5 sind überliefert "vigetum", "vetum", "vetiva". Powell (ed. Oxoniensis 2006) liest an dieser Stelle vietum in Verbindung mit dem folgenden et caducum.
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon Medicus domesticus » Di 8. Apr 2014, 10:56

Du mußt aber dann auch erwähnen, conse, dass Powell in der Oxfordausgabe auch viai liest und alle Varianten bis Scaliger angibt.
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Re: quo mentes sese flexere viai?

Beitragvon consus » Di 8. Apr 2014, 14:22

Medicus domesticus hat geschrieben:... dass wir keine Muttersprachler des Lateinischen sind und eigentlich solche Dinge nicht wirklich nachvollziehen können.
Nur als Nebenbemerkung gedacht: Wie steht's dann aber mit den heutigen nichtmuttersprachlichen Anglisten, Romanisten usw., die nichtsdestoweniger Hervorragendes leisten?

Zu Cic. Cato 16 ("uiai") noch etwas (ist vielleicht überflüssig, hier zu sagen): Man sollte nicht vergessen, auch einen Blick in Powells Kommentar (S. 137f.) zu werfen (Auseinandersetzung mit Skutsch).
Wie dem auch sei, es bleibt wohl nur das N.L. der römischen Juristen.
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