nitidus victus.

Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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nitidus victus.

Beitragvon Laptop » Di 17. Mär 2015, 03:13

Salvete! In einem Traktat von Gesner (De sanitatis tuendae praecepta, Textstelle) erscheint mir der Ausdruck “nitidus victus” befremdlich, könnt ihr mir den Sinn erklären?
EST in præceptis maiorum vt ſit rara venus, nitidus victus, ſuppelex munda, nullus clamor. mero ante ſomnos ora, matutinis frigida aqua os & oculos colluere præcipiunt.

Bei den Altvorderen galt als Gebot: seltener Geschlechtsverkehr, ¿feine Lebensart?, sauberer Hausrat, kein Lärm. Man gebot vor dem Schlafengehen den Mund mit reinem Wein auszuspülen, und frühmorgens mit kaltem Wasser Mund und Augen zu waschen.

Den Ausdruck nitidus victus finde ich sonst nur bei Au. Gell., Noct. Att. lib. 11.2 (Textstelle), wo es in negativem Sinne etwa “luxuriöse Lebensart” meint. Wie kann das nun nach Gesner zur Gesunderhaltung beitragen, wenn es doch etwas negatives ist?
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Re: nitidus victus.

Beitragvon Zythophilus » Di 17. Mär 2015, 07:51

Das Adj. nitidus ist im Normalfall nicht negativ konnotiert. Hier würde man sich vielleicht eher etwas wie "bescheiden" erwarten, aber ich denke, dass man es etwa als "ordentliche Ernährung" übersetzen könnte, also gerade nicht karg. Vgl. etwa Plin. ep. III 1,9 Apponitur cena non minus nitida quam frugi.
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Re: nitidus victus.

Beitragvon Laptop » Di 17. Mär 2015, 09:12

Guten Morgen Zythophilus! An victus als Kost/Ernährung hatte ich auch schon gedacht, aber die Alten empfehlen gerade (wie wohl jeder schonmal gelesen hat) die schlichte Kost als gesund, also das Gegenteil der “prächtigen/üppigen Kost”. Und sowas wie “ordentlich” gibt nitidus denke ich nicht her, “ordentlich” ist zu vage!

Zythophilus hat geschrieben:Apponitur cena non minus nitida quam frugi, in argento puro et antiquo.
Eine interessante Stelle! Übersetzt finde ich es als “Ein ebenso niedliches wie einfaches Mahl wird in echtem und altem Silber aufgetragen.”. Wobei man sich jetzt fragt was ein “niedliches Mahl” sein soll. Dazu Adelung: “In engerer Bedeutung wird es <gemeint ist das Adj. niedlich> auch von Speisen gebraucht, für schmackhaft, delicat, lecker. Ein niedliches Gericht.” Wenn man nun gegenprüft, und “schmackhaft” unter den Bedeutungen für nitidus sucht, dann findet man nichts, d. h. irgendwas stimmt da nicht: entweder ...
A) kann nitidus tatsächlich “schmackhaft” bedeuten, und die Wörterbücher kennen diese Bedeutung nicht
... oder ...
B) Plinius/Gesner meinen es in anderem Sinne als “schmackhaft” und die Übersetzung ist schief
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Re: nitidus victus.

Beitragvon medicus » Di 17. Mär 2015, 15:20

Ohne dass ich ein Philologe bin, sei mir eine Bemerkung gestattet. Wenn mann für nitidus die Bedeutung "fett, feist" annimmt. So war vor 50 Jahren eine fette Speise oder eine fette Gans ( Zitat Räuber Hotzenplotz) durchaus willkommen. Heute werden ja eher Nahrungsmittel mit wenig Fellgehalt bevorzugt. So hat das Wort "nitidus" ev. auch einen Bedeutungswandel durchlaufen ?
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Re: nitidus victus.

Beitragvon Laptop » Mi 18. Mär 2015, 01:16

@medicus Fast jedes Wort hat einen Bedeutungswandel durchlaufen. Daß mit nitidus fettig gemeint sein könnte, ist eine Überlegung wert. Aber gebraucht man (“man” = Plinius bspw.) da nicht eher eine andere Vokabel, wenn “fettig” ausgedrückt werden soll? Hier wären wieder die Koryphäen gefragt.

Lieber Zythophilus, kannst du noch eine Reaktion zu meinem Argument posten?
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Re: nitidus victus.

Beitragvon Zythophilus » Mi 18. Mär 2015, 07:51

Bei Empfehlungen für einen korrekten Lebenswandel würde ich auch zunächst einmal auf eher karge Speisen tippen, aber vielleicht meint der Autor dennoch "reichlich". Das Adjektiv 'fett' ist wirklich erst in den letzten Jahrzehnten zu etwas Negativem geworden, aber konkret kommt es mir hier in seiner Grundbedeutung auch nicht passend vor. Vielleicht versteht Gessner die Plinius-Stelle im Sinne von 'schmackhaft' und verwendet das Adj. nitidus deswegen.
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Re: nitidus victus.

Beitragvon Laptop » Do 19. Mär 2015, 00:00

Ich denke mal die Übersetzung “schmackhaft” ist bei der Plinius-Stelle auch ungenau. Denn nitidus bezieht sich in all seinen Bedeutungen immer nur auf den optischen Eindruck. Deshalb ist es plausibler, daß, von der Grundbedeutung “glänzend, schmuck, prächtig” ausgehend, in Bezug auf Essen “schmackhaft/appetitlich aussehend” gemeint ist, d. h. der optische Eindruck. Eine cena, die non minus nitida quam frugi ist, ist ebenso schlicht wie schmuck (= sieht lecker aus!).
Letztendlich können wir es wohl nicht klären. Bei Gesner kommen 5 Übersetzungsmöglichkeiten in Betracht und keine kann überzeugen:
a) appetitlich/lecker aussehende Kost => warum sollte das gesundheitsförderlich sein?
b) feine/herausgeputzte Kost => ist reichlich ungenau, was soll feine Kost sein? besonders ausgefallene Kost?
c) saubere Kost => “sauber” ist nur eine Interpretation von “fein, herausgeputzt”
d) üppige Kost => “üppig” ist nur eine Interpretation von “prächtig”
e) fettige Kost => diese Bedeutung gibt es m. W. n. gar nicht. Ein Junge der glänzend/proper/prächtig aussieht, ist nach damaliger Vorstellung einer, der wohlgenährt aussieht, daher nicht zu mager. Aber davon nun auf “fettig” zu schließen ist zu weit hergeholt

Die Bedeutung “Lebensunterhalt” für victus ist wohl nur übertragend und hier eher nicht zu erwarten.
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