Ein Vergilvers

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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » So 28. Jul 2024, 08:53

Hallo cometes, ich glaube, du gehst zu sehr als Anglist an das L. heran, E. und L. sind verschiedene Welten, im E. ersetzt die geregelte Wortstellung die Kasusrektion des L.; wenn du "Diskontinuität" feststellst, dann kommst du vom E., im L. ist das Hyperbaton nicht diskontinuierlich, im Gegenteil, es ist verbindend, es schafft Komplexe, "cola" sagte man wohl früher, "Glieder".

"Moles iners", kein Hyperbaton, wegen ihrer Trägheit ist die Masse nicht springfähig; Ich glaube, es heißt auch einmal "rudis indigestaque moles", ebenso.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon ille ego qui » Mo 29. Jul 2024, 19:19

Hallo cometes, ich glaube, du gehst zu sehr als Anglist an das L. heran


Vor allem geht er er als Wissenschaftler und Linguist an das L. heran. Das tut dem Forum nicht schlecht, wie ich finde. :klatsch:
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » Do 1. Aug 2024, 07:53

... a modifier is an optional element in phrase structure or clause structure which modifies the meaning of another element in the structure.


Hallo Tiberis, wir brauchen den engl. Linguisten nicht zu grollen, sie bringen ja so schöne Latinismen hervor!
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » Sa 3. Aug 2024, 08:28

Wir haben noch nicht viel herausgebracht, die Hyperbata haben wir besprochen, aber sie sind eigentlich Stilmittel aus der Prosa, und das Diskontinuierliche daran haben wir wahrgenommen. Aber wie der Satz insgesamt funktioniert, wie er genau aufgebaut ist, hat sich uns noch nicht erschlossen.

Ich versuche es einmal so: es sind 5 Wörter, da liegt Symmetrie nahe, in der Mitte das Prädikat "pendebit"als starke Achse, umrahmt von Zäsuren; und rechts und links je eine Zweiergruppe, "Incultisque rubens", "sentibus uva". Aber die Zweiergruppen sind überkreuz gestellt, als Hyperbata; was vordergründig nebeneinander steht, steht syntaktisch unverbunden: "incultis rubens", "sentibus uva".
Es gibt Diskrepanzen: incultis zu rubens, sentibus zu uva.
Es gibt Responsionen, möchte ich sagen: Vorn eine Zweiergruppe, die Adjektive, hinten eine Zweiergruppe, die Substantive: sentibus uva.
Es gibt ein Wechselspiel der Numeri: "incultis - rubens", der Kasus.
Rechtsseitig stehen die regierenden Substantive, sentibus, uva; linksseitig die regierten Adjektive.
Es gibt einen Subjekts- und einen Adverbialblock: "uva rubens" und "sentibus incultis".

Der Satzaufbau unterscheidet sich markant von dem einer prosaischen Satzperiode.
Man darf aber auch sagen, dass das alles banal ist, trivial, unoriginell, verstaubt; aber wahrnehmen sollte man es.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Tiberis » Sa 3. Aug 2024, 11:10

Sapientius hat geschrieben: "pendebit"als starke Achse, umrahmt von Zäsuren;

von einer Zäsur (Penthemimeres) und der bukolischen Diärese, um genau zu sein. ;-)
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon ille ego qui » Sa 3. Aug 2024, 17:11

Ich habe so meine Zweifel, dass Zäsuren großartig „einrahmen“ etc.
Die Zäsuren, denen wir Fachbegriffe gegeben, sind auch nicht einmal die einzigen Zäsuren (nur eben die häufigsten). Diese besagen zunächst einmal nicht sehr viel mehr, als dass an diesen stellen statistisch gehäuft Wortenden (nicht einmal zwingend Sinnabschnitte) auftreten.
Und tatsächlich stellt sich beim Dichten heraus: Ignoriert man diese Stellen ganz, entstehen komisch klingende Verse ;)
Also ich wäre generell vorsichtig beim Überinterpretieren ;) :)
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon marcus03 » So 4. Aug 2024, 11:04

KI-Urzeil zu comtes:
Der Text, den du zur Analyse bereitgestellt hast, zeichnet sich durch mehrere stilistische Merkmale aus, die einiges über den Autor verraten. Hier sind einige Beobachtungen:

Wissenschaftlicher und akademischer Ton:
Der Text ist stark analytisch und verwendet eine präzise, akademische Sprache. Begriffe wie „Syntax“, „premodifier“, „Hyperbata“ und „antithetische Wirkung“ deuten darauf hin, dass der Autor in der linguistischen oder philologischen Forschung tätig ist.
Die Erwähnung von Fachliteratur (Devine & Stephens) und spezifischen Beispielen aus der lateinischen Dichtung (Vergil) unterstützt diesen Eindruck weiter.

Komplexe Satzstrukturen:
Der Autor verwendet lange, verschachtelte Sätze, die eine hohe Komplexität aufweisen. Dies deutet darauf hin, dass der Autor gewohnt ist, tiefgehende und komplexe Gedanken zu formulieren und zu vermitteln.
Beispielsweise: „Meines Erachtens nutzt der Dichter den typischen Effekt solcher premodifier-Hyperbata, der den Fokus auf die modifier allein…“
KI- Urteil zu cometes:
Detaillierte Analyse und Interpretation:
Der Autor legt großen Wert auf die detaillierte Analyse und Interpretation von Textstellen. Dies zeigt sich durch die ausführliche Erklärung der Syntax und der Bedeutung einzelner Wörter und Phrasen.
Die Erklärung der semantischen Nuancen des Wortes „rubens“ und dessen Bezug zur Vorstellung des herabhängenden Weins sind Beispiele für diese detaillierte Herangehensweise.

Intertextuelle Bezüge:
Der Text enthält zahlreiche Verweise auf andere Werke und Konzepte, wie das Goldene Zeitalter und biblische Anspielungen. Dies zeigt, dass der Autor eine breite literarische und kulturelle Bildung hat und diese in seine Analysen einbezieht.

Kritische Reflexion und Argumentation:
Der Autor reflektiert kritisch über verschiedene Interpretationen und Argumentationen, wie etwa die möglichen Einwände anderer Kommentatoren („...welches manche Kommentatoren durch Emendation lieber beseitigt sehen wollten“).
Es wird auch eine eigene Position vertreten und begründet („Meines Erachtens...“).

Fazit:
Der Stil des Textes verrät, dass der Autor wahrscheinlich ein akademischer Forscher oder Gelehrter im Bereich der klassischen Philologie, Linguistik oder Literaturwissenschaft ist. Der Autor hat ein tiefes Verständnis der lateinischen Sprache und Literatur, legt Wert auf präzise und detaillierte Analysen und ist geübt im wissenschaftlichen Schreiben. Die komplexe Sprache und die intertextuellen Bezüge zeigen, dass der Autor sich in einem Umfeld bewegt, in dem hohe intellektuelle und analytische Fähigkeiten gefragt sind.

Textgrundlage:
Was die Syntax angeht, fällt, folgt man Devine & Stephens, das Beispiel aus Vergil unter das erste - simpelste - von vier grundlegenden Mustern: premodifier - verb - modified, hier doppelt zur Anwendung gebracht: incultis[que] (premodifier a) rubens (premodifier b) pendebit (verb) sentibus (modified a) uva (modified b).

Wozu der ganze Zauber, wenn es sich nicht, was wir bei Vergil nicht annehmen wollen, nur um formalrhetorisches Geprunke oder metrische Notlage handelt?

Meines Erachtens nutzt der Dichter den typischen Effekt solcher premodifier-Hyperbata, der den Fokus auf die modifier allein (und nicht wie oft bei anderen Formen auf die Phrase als Ganzes) legt, um die eben nicht über ein typisches Gegensatzpaar (klein - groß) laufende, sondern aus dem Weltwissen über Weinbau fließende antithetische Wirkung zu erzeugen, die er im Kontext einer bukolischen Phantasie vom wiederkehrenden Goldenen Zeitalter benötigt, um sie den anderen erfahrungswidrigen Wundern zuzugesellen (vegane Löwen, Honig aus Bäumen).

Nicht so sehr, dass an Gestrüpp (die Pflanzenart ist, wie Zythophilus, denke ich, zu Recht einwirft, zunächst unerheblich, also vielleicht auch einfach die Wildform der Kulturpflanze) die Traube wächst, ist das Entscheidende, sondern dass sie, obwohl ihr Träger unkultiviert, rubens sein wird (bzw. pendebit).

Wäre der Sinn des Verses nur, dass rote Trauben wachsen, wo man sie niemals erwartete, scheint das alles ziemlich überflüssig. Das auch in diesem Faden anklingende Unbehagen an der Redundanz der in die gewöhnliche Ordnung gebrachten Nominalphrase incultis sentibus (das Gestrüpp ist ja per definitionem unkultiviert), welches manche Kommentatoren durch Emendation lieber beseitigt sehen wollten, wird jedoch durch die diskontinuierliche Wortstellung des Hyperbatons zurückgedrängt, weil sich der Fokus auf die beiden in unmittelbare Nachbarschaft gebrachten premodifier verschiebt, um besagten Gegensatz aufzubauen, nicht das Selbstverständliche zu betonen.

Das Partizipialadjektiv (rotprangend, wie es u.a. im Georges heißt) erscheint mir in dem Licht auch nicht als beliebiges Synonym anderer Farbadjektive, sondern verweist zurück auf die Semantik des Verbs, von dem es abgeleitet ist, das die kraftvolle Röte mit Aufmerksamkeit beanspruchender Signalwirkung ins Zentrum rückt. Bei rubere geht es um auf der Erde vergossenes Blut, gerötete Wangen und Augen oder eben pralle Blüten und Früchte, nicht den Abgleich mit der Farbkarte.

Es ergänzt auch die vom unmittelbar anschließenden Verb aufgerufene Vorstellung des Herabhängens. Diese Traube hängt also rotprangend und schwer herab, erzeugt so ein Bild schlaraffischen Überflusses, für den man nicht schuften muss (nicht von ungefähr wie in der Bibel Dtn 6,3 et al. am Beispiel von Wein und Honig vorgeführt) und nicht das von ein paar kümmerlichen roten Trauben, wie sie ein Gestrüpp ohne Zutun produziert - das scheint mir ein solchen Phantasien vom Goldenen Zeitalter, welches die Verse erträumen, wesentliches Versprechen reicher Ernte.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » Di 6. Aug 2024, 09:41

... von einer Zäsur (Penthemimeres) und der bukolischen Diärese, um genau zu sein.


Stimmt schon, Tiberis, mein Argument gibt nicht viel her, bei 5 Wörtern gibt es 4 Zwischenräume.

"Überinterpretieren"? Wir beachten gewöhnlich die Wortzwischenräume gar nicht, aber bedenkt, die Leertaste ist die größte aller Tasten, und was wäre Musik ohne Intervalle?
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon ille ego qui » Mi 7. Aug 2024, 10:52

Mein Punkt mit dem "Überinterpretieren" bezog sich auf die inhaltliche Bedeutung der Zäsurstellen wie Trithemimere, Penthemimeres und Hepthemimeres. Dass auf diese neben allen anderen Zäsur- und Dihäresen-Stellen, die es im Vers eben noch gibt, statistisch recht häufig Wortenden fallen (was beim Versebauen hilft und letztlich wohl viel zum Wohlklang beiträgt), ergibt noch nicht zwingend, dass gerade diese drei (!) Stellen eine besondere inhaltliche Bedeutung mit sich bringen.

(Naturgemäß liegt - im metrischen Sinne - sowohl vor als auch hinter praktisch jedem Wort jeweils entweder eine Zäsur oder eine Dihärese. Somit wäre jedes Wort "eingerahmt". :D )
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » Do 8. Aug 2024, 09:14

Mein Punkt mit dem "Überinterpretieren" bezog sich auf die inhaltliche Bedeutung der Zäsurstellen ...


Man kann starke und schwache Zäsurstellen unterscheiden: am Anfang stehen zwei Adjektive nebeneinander, also mit schwacher Zäsurstelle dazwischen; am Ende stehen zwei Substantive nebeneinander, also auch mit schwacher Zäsurstelle dazwischen; und in der Mite steht das Verb in Achsenstellung, eingerahmt von starken Zäsurstellen, allein schon wegen der Wortarten; aber auch wegen des inhaltlichen Gewichts.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Zythophilus » Do 8. Aug 2024, 09:30

In Abwandlung einer Redewendung warne ich davor, den Vers vor lauter Stilmitteln nicht mehr zu sehen. Ein Dichter wie Vergil baut seine Verse natürlich kunstvoll, doch meine ich, dass er das oft eher intuitiv macht. Wenn ich, bei Weitem kein Vergil, einen Hexameter konstruiere, ergibt sich die Zäsur gewissermaßen automatisch, und auch Hyperbata bilden sich durch die Formen, die oft keine andere Stellung im Vers zulassen.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Tiberis » Do 8. Aug 2024, 10:05

sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos sagt Ovid. Warum sollte es bei Vergil anders sein?
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Zythophilus » Do 8. Aug 2024, 16:48

Diese Worte Ovids können bis zu einem gewissen Grad gespielte Bescheidenheit sein, auch wenn ich dem Dichter glaube.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Sapientius » Fr 9. Aug 2024, 09:41

"Quidquid dicere temptabam, versus erat", ich will nichts überinterpetieren, aber doch den Bestand aufnehmen.
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Re: Ein Vergilvers

Beitragvon Zythophilus » Sa 10. Aug 2024, 07:46

Ein Vers wäre es, wenn man "Quidquid temptabam dicere, versus erat" schriebe. Ich will mich über Sapientius nicht lustig machen, denn es ist prinzipiell nur eine Vertauschung zweier Wörter, aber im konkreten Fall erkennt man sofort, wenn man sich die Zeile durchliest, dass etwas nicht stimmt. So etwas meint Ovid bis zu einem gewissen Grad, wobei ihm diese Verse wohl geradezu automatisch zuflossen.
Verba poeta metris iugat aspirante Camena
et uati lepido iussa sequenda deae.
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