Andererseits ist Ennius, soweit wir ihn kennen, zwar archaisch, aber nicht unbedingt primitiv.
Da stellt sich die Frage, was Sarbievius an Fragmenten kannte (die aus den
Annales sollen das erste Mal im 16. Jhdt. gesammelt herausgegeben worden sein) und wie Ennius in seiner Zeit wahrgenommen wurde. Dass er sich in der Ode jugendlicher Primitivität anklagte, kann ich eigentlich nicht erkennen.
Für die Deutung, dass Horaz gemeint ist, ließe sich andererseits auch auf Martial
Ep. 5,30 verweisen, wo die Formulierung der Rede von der Leier am nächsten kommt:
Varro, Sophocleo non infitiande coturno,
Nec minus in Calabra suspiciende lyra ...
Nina Mindt erklärt in einer Fußnote von
Martials 'epigrammatischer Kanon' die geographische Schlamperei so:
Zur bisweilen als problematisch angesehenen Umschreibung des Horaz als „kalabrischer Flaccus“ vgl. Jachmann (1935), Daly (1942), Stevens (1944), Sullivan (1991), 103 Anm. 44 mit Literatur, sowie Schöffel (2002), 214. Man darf diese Bezeichnung nicht als grobe Nachlässigkeit Martials im Umgang mit der Literaturgeschichte ansehen, sondern als ein Beispiel für die allgemeine Ungenauigkeit in der Unterscheidung von Apulien und Kalabrien. Sicher dabei ist, dass Martial die Anregung aus Horaz selbst entnommen hat, auch wenn dieser Ennius umschrieb (Hor. Carm. 4,8,20).
In der Kürze liest sich das ein wenig nach der Arroganz, mit der man vom Mezzogiorno spricht, präziser Werner Suerbaum:
Nach einer Vermutung Jachmanns, Calabrae Pierides 346 ff., bes. 349 wäre Martial gerade aufgrund eines Mißverständnisses des Calabrae Pierides in unserer Ode (worunter er fälschlich eine Anspielung des Horaz auf die eigene Dichtung, nicht die des Ennius verstanden habe) zu seiner Ansicht gekommen, Horaz stamme aus Calabrien. Horaz selbst verwendet Calaber nie im Hinblick auf sich, nennt sich vielmehr einmal ausdrücklich, da er aus Venusia stamme, Lucanus an Apulus anceps (sat. 2, 1, 34; cf. 38 sive quod Apula gens seu quod Lucania eqs.) Porphyrio interpretiert unseren Horaz-Vers carm. 4, 8, 20 sua vult intellegi carmina, quia in urbe Venusia natus est, quae est in Calabria atque Apulia Es wäre möglich, daß Martial in der Calaber-Bezeichnung des aus dem apulisch-lukanischen Grenzbezirk stammenden Horaz nur die bei Porphyrio faßbare Vermischung der Begriffe Apulia und Calabria spiegelt. Vielleicht hat in diese Richtung auch die Regioneneinteilung des Augustus gewirkt, nach der beide Landschaften zur Regio II Apulia et Calabria gehörten. (Eine Synonymität von Apulus und Calaber zeigt Mart. 8, 28, 3/4.) Mithin brauchen die Martialstellen, an denen Horaz als Calaber erscheint, nicht auf ein Mißverständnis des Calabrae Pierides zurückzugehen, sondern können von einem unscharfen Gebrauch der Stammesbezeichnung (auch für Apuler) zeugen. (Untersuchungen zur Selbstdarstellung älterer römischer Dichter, S. 198)
Ich nehme mal nicht an, dass Sarbievius sich dieser geographischen Wirrungen im Detail bewusst war. Er wird also wohl die eine oder andere Deutung im guten Glauben übernommen haben.