Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

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Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon medicus » Fr 22. Jul 2022, 08:19

https://www.lateinheft.de/phaedrus/phae ... ersetzung/
Warum hat Phaedrus gerade diese Tiere als Begleiter des Löwen für seine Fabel ausgewählt, die ja keine Fleischfresser sind? :nixweiss:
Zuletzt geändert von medicus am Fr 22. Jul 2022, 15:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon ClaudiaK » Fr 22. Jul 2022, 13:09

medicus hat geschrieben:Warum hat Phaedrus gerade diese Tiere als Begleiter des Löwen für seine Fabel ausgewählt, die ja keine Fleischfresser sind?

Zugegeben, man wundert sich wirklich. Der Leser ( ;-) ) denkt spontan, und das vielleicht auch aus der Perspektive des Löwen heraus, dass alle Tiere das Bündnis zum Zwecke der gemeinsamen Jagd und der anschließenden Beuteteilung eingegangen seien. Aber vielleicht hatten die vegetarisch lebenden Tiere, die nicht nur Vegetarier sind, sondern auch Haustiere, ganz andere Beweggründe. :)

Bei dieser Gelegenheit fiel mir auf, dass auf vielen Internetseiten canis im Titel steht, aber vacca im Fabeltext. Was hat es damit auf sich? Hat da ein Mönch beim Abschreiben auch spontan den Gegensatz Pflanzen- und Fleischfresser statt Haus- und Wildtiere gesehen und im Text das canis et capella durch vacca et capella ersetzt?
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon marcus03 » Fr 22. Jul 2022, 14:03

Vlt. hat er sich keine genaueren Gedanken gemacht, weil es für die Pointe oder seine Intension
sekundär war. Ihm gings um die Macht des Stärkeren, der kein Mitgefühl oder Gerechtigkeitsempfinden hat.

Auch das ist unlogisch:
Als sie einen Hirsch mit großem Leib gefangen hatten,

Wie kann eine Kuh oder ein Schaf Jagdgehilfe sein?
Da passte canis als Jagdhund schon viel besser.

Oder er wusste schlicht zu wenig über das Fressverhalten und schloß Fleisch nicht gänzlich aus.
Der Mann war primär Dichter, kein Zoologe. :)
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon ClaudiaK » Fr 22. Jul 2022, 14:26

marcus03 hat geschrieben:Wie kann eine Kuh oder ein Schaf Jagdgehilfe sein?
Da passte canis als Jagdhund schon viel besser.

Klingt logisch. In dem griechischen Original soll sogar ein wilder Esel der Jagdpartner sein. Der wird dann eine wirkliche Hilfe gewesen sein: https://books.openedition.org/chbeck/1583#tocfrom1n6

Vlt. hat er sich keine genaueren Gedanken gemacht, ...

Vlt hat er aber auch bewusst auf eine "echte" Hilfe verzichtet und Vegetarier eingesetzt. 1728 war es übrigens noch eine vacca. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k8532008/f14.item Der Hund ist als echte Jagdhilfe und als Fresskonkurrent aus dem Spiel.

marcus03 hat geschrieben:Oder er wusste schlicht zu wenig über das Fressverhalten und schloß Fleisch nicht gänzlich aus. Der Mann war primär Dichter, kein Zoologe.

:lol: Klingt nach typischen Stadtkindern, wenn man sie fragt, woher die Milch kommt. Experta sum.

Im Ernst: Vielleicht sind die Weidetiere ganz froh, wenn der Löwe denkt, sie hätten ihm bei der Jagd geholfen. Und es macht sie der Umstand, dass er von der Beute alles für sich will, gar nicht unglücklich.
Ungerecht behandelt fühlen kann sich doch nur ein zweiter "Löwe", der zum Jagdergebnis einen wirklichen Beitrag geleistet haben wird.
:nixweiss:
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon medicus » Fr 22. Jul 2022, 14:57

Salve ClaudiaK, hier handelt es sich wohl um einen Druckfehler:
https://www.lateinheft.de/phaedrus/phae ... ersetzung/
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Fr 22. Jul 2022, 15:08

Die Fabel ist eine Anspielung auf die römisch-rechtliche societas leonina. Daher auch unser Begriff „Löwenanteil“. Die Fressgewohnheiten der Protagonisten spielen keine Rolle.
Dig. 17,2,29
Aristo refert Cassium respondisse societatem talem coiri non posse, ut alter lucrum tantum, alter damnum sentiret, et hanc societatem leoninam solitum appellare: et nos consentimus talem societatem nullam esse.

Phaedrus war rechtlich bewandert.
Zuletzt geändert von iurisconsultus am Fr 22. Jul 2022, 15:29, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon ClaudiaK » Fr 22. Jul 2022, 15:23

Die Zulässigkeit der Societas leonina differiert je nach Rechtsordnung: Während sie nach dem österreichischen ABGB zulässig ist,[2] ist sie nach Art. 2265 des italienischen bürgerlichen Gesetzbuches sowie Art. 51 des polnischen Handelsgesellschaft-Gesetzes verboten. Problematisch sind leoninische Klauseln auch im französischen Recht. Im deutschen Recht sind sie grundsätzlich zulässig, da der für eine Gesellschaft nötige gemeinsame Zweck im Sinne des § 705 BGB nicht schon dadurch ausgeschlossen ist, dass erwirtschaftete Gewinne nur einem Gesellschafter zufließen sollen.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Leoninischer_Vertrag
Nicht zu fassen, was es alles gibt. :-o
Da frage ich mich, warum jemand solch einen Vertrag unterschreiben sollte? Das müsste schon ein seeeeeeeeehr guter anderer gemeinsamer Zweck sein, für den man den Gewinn dann einem einzigen überläßt.

War eigentlich zuerst die Fabel und dann der Begriff da?
Zuletzt geändert von ClaudiaK am Fr 22. Jul 2022, 15:36, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Fr 22. Jul 2022, 15:36

ClaudiaK hat geschrieben:War eigentlich zuerst die Fabel und dann der Begriff da?

Zuerst die Fabel, die auf Äsop zurückgeht, und dann der Rechtssatz von Ulpian, der sich begrifflich bei Phaedrus bedient.
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon medicus » Fr 22. Jul 2022, 15:42

Salve iurisconsulte, welche Tiere verwendete Aesop in dieser Fabel?
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Fr 22. Jul 2022, 15:53

Salve medice, die Fabel ist etwas anders gestrickt, behandelt aber dasselbe Thema:

https://www.projekt-gutenberg.org/aesop ... ap062.html
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon medicus » Fr 22. Jul 2022, 16:00

Gratias ago, omnia clara!
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Re: Phaedrus: Canis et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Fr 22. Jul 2022, 17:29

ClaudiaK hat geschrieben:Während sie nach dem österreichischen ABGB zulässig ist,

Zur Klarstellung: In dieser Allgemeinheit stimmt das natürlich nicht. Die Beteiligung im Sinne einer societas leonina muss Interessen des Gesellschafters zumindest mittelbar fördern, sonst ist sie sittenwidrig. Wikipedia ist für Rechtsthemen grundsätzlich eine sehr schlechte Quelle. Offenbar beteiligen sich Juristen zu wenig an diesem Projekt (mich eingeschlossen). :D
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Sa 23. Jul 2022, 10:51

@ Claudia:
Warum hast du deinen wunderbaren Beitrag entfernt? Ich hielt deine Hypothese für sehr überzeugend. :) Der Löwe zeigt nicht allein sittliche „Schlechtigkeit“, wie Phaedrus wähnt, er ist vielmehr ein einfältiger Tor, weil er nicht begreift, welchen Nutzen die Herbivora aus der Jagdgemeinschaft ziehen und sogar irrig annimmt, er könne ihnen schaden, indem er die Fleischbeute nicht zu teilen bereit ist. :-D
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon marcus03 » Sa 23. Jul 2022, 11:47

iurisconsultus hat geschrieben:er ist vielmehr ein einfältiger Tor, weil er nicht begreift, welchen Nutzen die Herbivora aus der Jagdgemeinschaft ziehen

Welchen Nutzen meinst du?
Bei der Jagd doch keinen, oder?
Ansonsten vlt. die Schutzfunktion als großer Bruder?
Er selber hat den Nutzen nicht einsam rumtigern/rumlöwen zu müssen.
Ob das "zoon politikon-Motiv" hier eine Rolle spielt?
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Re: Phaedrus: Vacca et Capella, Ovis et Leo

Beitragvon iurisconsultus » Sa 23. Jul 2022, 12:30

Interessant ist jedenfalls - und darauf hat Claudia mit Recht hingewiesen -, dass auch die Pflanzenfresser aus der Gemeinschaft - anders als bei der nichtigen societas leonina - einen, wenn auch immateriellen, Gewinn ziehen, insbesondere beschützt und nicht selbst vom Löwen gefressen zu werden, und der einfältige Löwe (und Phaedrus) offenbar zu kurzsichtig ist (sind), das zu sehen. Aber vielleicht bequemt sich Claudia dazu, ihren Beitrag erneut einzurücken. :wink:
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