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WBG, Mommsen; Römische Geschichte; Band II,S.284 hat geschrieben: Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehrfach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan: so trat er im Prozeß des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Verhandlung über das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daß er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebensotief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in unendlichen Hexametern Marius' Groß- und seine eigenen Kleintaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt um auch den Thukydides zu überwinden. Er war in der Tat so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt hätte. Am treuesten gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen: sie ist es auch, solange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vornehmen Welt widerspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daß ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach überfirnißter Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nötig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der große Schriftsteller ist doch auch ein großer Mensch; und vor allem dem großen Redner strömt die Überzeugung und die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Überzeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er verstand es, seine Sacherzählung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl, doch die Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenngleich auch sie die freie Anmut und den sicheren Treff der vorzüglichsten Kompositionen dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lektüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so muß der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduktion in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene die Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräßliche, Gedankenöde jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und Verstand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der Tat nicht eigentlich aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem größeren Geheimnis der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemüt. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaßt und in seinen weitläufigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige Gefäß etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät, die sie erweckt. Man besaß keinen großen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war wie Napoleon nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, daß man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem großen Stilisten? und daß wie Cicero selbst so auch Ciceros Leser sich gewöhnten zu fragen nicht was, sondern wie er geschrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann was die Macht der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen übrigens waren begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgötterei weit weniger befangen als viele der Späteren....
dass er unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten haben muss.
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