Unter uns Interessierten vielleicht ein bisschen Praxis mit aristotelischer Syllogistik? Hier ein Syllogismus von vorhin und dann ein bisschen Fachgesimpel dazu?
Alles, was vollkommen ist, existiert.
Gott ist vollkommen.
Also existiert Gott.
Widerlegung durch „reductio ad absurdum“: Anselms Argument der Vollkommenheit in der Kritik durch Kant ( «Sein ist offenbar kein reales Prädikat»)
I Canterburys Gottesbeweis
Anselm von Canterbury hat einen berühmten Gottesbeweis vorgelegt, den so genannten «ontologischen Gottesbeweis»:
Also, Herr, der Du die Glaubenseinsicht gibst, verleihe mir, dass ich, soweit Du es nützlich weisst, dass Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben. Und zwar glauben wir, dass Du etwas bist, über dem nichts Grösseres gedacht werden kann. [...] Und sicherlich kann «das, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann» nicht im Verstand allein sein. Denn wenn es wenigstens im Verstande allein ist, kann gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existiere - was grösser ist. Wenn also «das, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann», im Verstande allein ist, so ist eben «das, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann», über dem Grösseres gedacht werden kann. Das aber kann gewiss nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel «etwas, über dem Grösseres nicht gedacht werden kann» sowohl im Verstand als auch in Wirklichkeit.
Das Argument Anselms:
1. Annahme um des Arguments willen: Gott ist das Wesen, über das hinaus ein vollkommeneres Wesen nicht gedacht werden kann, aber er existiert nicht.
2. Also kann ich mir über Gott hinaus ein vollkommeneres Wesen denken, nämlich das Wesen, das alle Vollkommenheitseigenschaften Gottes besitzt und darüber hinaus eine weitere, nämlich zu existieren.
3. Das widerspricht der Definition Gottes als eines Wesens, über das hinaus sich kein vollkommeneres Wesen denken lässt.
4. Also ist die Annahme falsch. Gott als das Wesen, über das hinaus kein vollkommeneres Wesen gedacht werden kann, muss existieren.
Anselms Beweis ist ein Paradebeispiel für die Philosophie als einer Disziplin höherer Ordnung, die fragt, welche Sachverhalte bereits aus der Art und Weise folgen, wie wir uns als vernünftige Personen auf die Welt beziehen. Anselms Gottesbeweis gibt eine Teilantwort.
Die Existenz Gottes folgt bereits aus der Tatsache, dass wir ein Wesen denken können, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann. Anselm wendet in seinem Gottesbeweis den Grundsatz der Philosophie als Disziplin höherer Ordnung an. Der Sachverhalt zweiter Stufe, dass wir uns widerspruchsfrei ein Wesen denken können, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann, und der Sachverhalt erster Stufe, dass Gott existiert, passen nur in einer Weise kohärent zusammen: Gott muss existieren, damit wir ihn widerspruchsfrei als das vollkommenste Wesen denken können.
Der Beweis ist verblüffend. Lange Zeit hat man darüber gerätselt, wo der Fehler liegen könnte. Die berühmteste und von vielen (keineswegs von allen) Philosophen geteilte Kritik am ontologischen Gottesbeweis stammt von Kant:
II Kants Ansatz «Sein ist offenbar kein reales Prädikat».
«Sein ist offenbar kein reales Prädikat».
Um das als Einwand gegen Anselm zu erkennen, müssen wir einen Teil des Anselm- Arguments genauer analysieren:
1. Gott ist das Wesen, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann.
2. Gott kommen alle Vollkommenheitsprädikate zu.
3. Existiert Gott nicht, fehlt ihm mindestens ein Vollkommenheitsprädikat.
4. Fehlt einem Wesen X ein Vollkommenheitsprädikat P, kann ich mir ein Wesen Y denken, dem alle Vollkommenheitsprädikate von X zukommen, aber darüber hinaus auch das Prädikat P.
5. Zwei Wesen, denen nicht dieselben Prädikate zukommen, sind verschieden.
6. Ein Wesen, das mehr Vollkommenheitsprädikate als ein anderes Wesen besitzt, ist vollkommener als das zweite.
7. Wenn Gott nicht existiert, kann ich mir ein Wesen denken, das vollkommener als Gott ist, insofern ihm alle Vollkommenheitsprädikate Gottes zukommen und es darüber hinaus auch noch existiert.
Das Argument lebt davon, dass «existieren» ein Vollkommenheitsprädikat und damit insbesondere ein Prädikat ist. Ohne diese Prämisse ist der Übergang zur Konklusion 7 und damit der ontologische Gottesbeweis insgesamt nicht schlüssig.
Insofern trifft Kants Satz «Sein ist offenbar kein reales Prädikat».tatsächlich einen neuralgi-schen Punkt. Doch wie begründet Kant seinen Einwand?
Eines seiner Argumente läuft folgendermassen:
1. Annahme um des Arguments willen: «Existieren» ist ein Prädikat.
2. Angenommen, ich denke mir ein Ding, dem die Prädikate Pl, ..., P, zukommen.
3. Wenn ich dann feststelle, dass dieses Ding tatsächlich existiert, kommt diesem Ding neben den Prädikaten P,, ..., Pn auch noch das Prädikat «existieren» zu.
4. Kommen zwei Dingen unterschiedliche Prädikate zu, so sind sie verschieden.
5. Also wären das von mir gedachte Ding, dem die Prädikate Pl, ..., Pn zukommen, und das Ding, von dem ich dann feststelle, dass es existiert, verschiedene Dinge.
6. Diese Folgerung ist jedoch absurd, denn ich kann ja den Sachverhalt folgendermassen beschreiben: Das Ding, das ich mir als ein Ding mit den Prädikaten P,, ..., Pn gedacht habe, existiert. Das Ding, das ich mir vorher gedacht habe, und das tatsächlich so, wie ich es mir denke, existierende Ding sind ein und dasselbe.
7. Also ist die Annahme falsch, «existieren» sei ein Prädikat.
III Hintergrund
Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis ist typisch für sprachkritische Überlegungen
.
(a) Die grammatische Ähnlichkeit von Sätzen wie «Peter raucht» und «Peter existiert» verführt uns zu der Auffassung, «existieren» sei ebenso ein Prädikat für Dinge und Personen wie der Ausdruck «rauchen».
(b) Stellen wir uns eine einfarbige Kugel vor, die die Eigenschaft „rot“ nicht hat. Nun die Menge aller realen Kugeln, die diesem Kugelmuster entsprechen. Nun aber eine rote Kugel: Sie kann sich nicht in der Menge der nichtroten Kugeln befinden. Also ist sie eine andere Kugel. Die neue Eigenschaft erzwingt mindestens zwei Kugeln.
(c) Andererseits: Stellen wir uns einfarbige Kugeln vor und nun eine rote Kugel. Sie befindet sich in der Menge der einfarbigen Kugeln. Ist sie eine „neue“ Kugel? Wenn nein, wenn ja. Inwiefern ist dann Kants Argument (noch) gültig?
Bonustrack:
http://www.nensch.de/story/2005/3/30/183247/128
Valete
vm