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Korrektur und Hilfestellungen bei Übersetzungen für die Schule und das Leben sowie deutsch-lateinische Übersetzungen für Nichtlateiner

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Beitragvon ralf » Mo 13. Aug 2007, 10:28

gloria in excelsis deo
et in terra pax hominibus bonae voluntatis

laut meinem gebetbuch:
ehre sei gott in der höhe
und friede auf erden den menschen seiner gnade

ich hätte folgendermaßen übersetzt
ehre sei gott in der höhe
und friede auf erden den menschen des guten willens

wäre die übersetzung sinnvoll?

gruß ralf
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Beitragvon consus » Mo 13. Aug 2007, 11:03

Salve, amice!

Man denkt an Lukas 2, 14. Maßgebend ist der griechische Text:

...και επι γης ειρηνη εν ανθρωποις ευδοκιας (varia lectio: ευδοκια).

Jetzt sei ein Blick in das griechisch-deutsche Wörterbuch zum NT von W. Bauer (6. Aufl. hg. von K und B. Aland, Sp. 646f.) gestattet. Dort lesen wir:

„unter den Menschen von gutem Willen. Nach anderen ist aber ευδοκιας (v. l. ευδοκια) hier aufzufassen als ... d. Huld, d. Wohlgefallen. Zu denken ist dabei an Menschen, auf denen d. göttl. Wohlgefallen (so oft LXX. Hen. 1, 8. Test.Sal D 8, 4) ruht.“

Zum Begriff Wohlgefallen schreibt Luther in der Randbemerkung zur Stelle (Übers. 1544):

„(Wolgefallen) Das die menschen dauon lust und liebe haben werden / gegen Gott vnd vntereinander. Vnd dasselb mit danck annemen / vnd darüber alles mit freuden lassen und leiden.“

Das Nachdenken über die Textstelle wird wohl weitergehen...
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Beitragvon ralf » Mo 13. Aug 2007, 11:37

danke consus für deine ausführlich erklärung mit rückbezug auf das altgr
also es gibt mehrere übersetzungsmöglichkeiten....


weiter unten in diesem gebet:
miserere nobis

müßte es im klass. latein "miserere nostrum" heißen, da doch misereri denn gen. fordert?
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Beitragvon consus » Mo 13. Aug 2007, 16:58

Servus, ralf!

miserere nobis

müßte es im klass. latein "miserere nostrum" heißen, da doch misereri den gen. fordert?


Richtig: Der Dativ bei "miserere!" ist unklassisch, primär im Bibellatein anzutreffen und tunlichst zu vermeiden; aber es muss heißen "Miserere nostri!"; denn nostrum wird partitiv verwendet, z.B. nemo nostrum = keiner von uns, quis vestrum? = wer von euch? usw.
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Beitragvon ralf » Mo 13. Aug 2007, 17:34

ok, ist mir jetzt klar

dank dir consus!


grüße ralf
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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Aug 2007, 04:06

Das „Wohlgefallen“ in Lc 2,14 kommt ja von Luther, der freilich nach dem textus receptus die varia lectio δόξα ἐν ὑψίστοις Θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνϑρώποις εὐδοκία übersetzt hat; wohl nicht ganz treffend, denn passender wäre „Wohlwollen, Gunst, Huld“ (so beispielshalber auch kirchenslawisch благоволєніє).

Wenn die Einheitsübersetzung heute „den Menschen seiner Gnade“ übersetzt, nimmt sie diesen Begriff „Wohlwollen, Gunst, Huld“ auf, jedoch nicht ganz korrekt, denn Gnade ist ein sehr spezifischer theologischer Terminus, den man nicht mal so einfach hernehmen kann, um εὐδοκία wiederzugeben.

Doch schlimmer noch, sie fügt „seiner“ ein, so daß also konkret Gottes Gnade gemeint ist. Das steht aber in keiner griechischen Lesart. Ob Gottes Huld oder aber das Wohlwollen der Menschen untereinander gemeint ist, läßt der griechische Text dieser Lesart unbestimmt.

Schließlich macht die Einheitsübersetzung noch einen weiteren Fehler: Sie transponiert diese Interpretation des Begriffs, die von der oben zitierten varia lectio ausgeht, in die offizielle Lesart der lateinischen Versionen (Vetus Latina und Vulgata) und der kritischen Ausgaben des griechischen Texts, die gegen den textus receptus alle δόξα ἐν ὑψίστοις Θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνϑρώποις εὐδοκίας lesen.

Diese Fassung wird von den alten Übersetzern durchweg mit „bei Menschen guten Willens wiedergegeben“, so in den lateinischen Übersetzungen in hominibus bonæ voluntatis oder in Wulfilas gotischer Übersetzung in mannam godis wiljins (aus dem Gedächtnis, müßte aber in etwa stimmen). Meinetwegen könnte man auch sagen: „bei Menschen von Wohlwollen“, oder etwas in der Art. Mit Sicherheit verfehlt ist es, den Genitiv εὐδοκίας als Wohlwollen Gottes gegenüber Menschen zu interpretieren. Theologisch mag das ja möglich sein, keine Frage. Philologisch ist es grober Unfug.

Welcher der beiden griechischen lectiones nun der Vorzug zu geben sei, dessen bin ich hier selber nicht ganz sicher. Der Überlieferungsgeschichte nach sind beide sehr alt und verbreitet. Die lateinische Kirche liest heute εὐδοκίας, die byzantinische εὐδοκία.

Ein Wort noch zum miserere nobis: Du hast natürlich recht, Consus, daß es klassisch lateinisch miserere nostri heißen muß. Aber die Klassik ist vorbei. Gerade diese Wendung miserere nobis ist überall, wo Latein noch lebt, derart geläufig und eingeprägt, daß der „Klassizismus“ mit dem Genitiv so merkwürdig und anstößig wirkte, daß man in diesem Falle ihn »tunlichst vermeiden« sollte.

Das gilt aber nur für die 1. Pl. Bei andern Personen findet man dagegen verbreitet beides nebeneinander, Dativ und Genitiv: wie etwa miserere mei neben miserere mihi (hier ist der Dativ sogar seltener) oder miserere ei neben miserere ejus (hier wiederum dürfte der Dativ häufiger sein, aus dem Bauch heraus gesagt).
Zuletzt geändert von Ketelhohn am Sa 26. Dez 2009, 01:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon consus » Di 14. Aug 2007, 10:52

Aber die Klassik ist vorbei.


Mitnichten, zumindest in der Lehre nicht! Um es kurz zu sagen: die Sprache Ciceros und Caesars ist in der Regel Grundlage für die Arbeit in deutsch-lateinischen Stilübungen. Einen Ausdruck wie „miserere nobis“ kann man da nicht gelten lassen, es sei denn, dass mit dieser Formulierung eine bestimmte Absicht verfolgt wird. Quid ergo? Genetivo tantum iungitur! Die Studenten lernen, wenn sie es nicht eh schon wissen: „misereri alicuius“. Cf. Cic. Att. 4, 5, 2: „...ad illos, qui etiam tum, cum misereri mei debent, non desinunt invidere“. Ferner: Menge § 312 (3).
Ein Dativ bei misereri erscheint, wenn man vom späten Latein im kirchlichen Bereich absieht, bei Hyg. fab. 58, 3: „cui Venus postea miserta est“ (2. Jh. n. Chr.).

Bei andern Personen findet man dagegen verbreitet beides nebeneinander, Dativ und Genitiv: wie etwa miserere mei neben miserere mihi (hier ist der Dativ sogar seltener) oder miserere ei neben miserere ejus (hier wiederum dürfte der Dativ häufiger sein, aus dem Bauch heraus gesagt).


Es wäre schön, wenn man nachprüfbare Belege dafür präsentiert bekäme.
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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Aug 2007, 12:03

Zwischen der »Sprache Ciceros und Caesars« und heute liegen annähernd zweitausend Jahre lebendigen Lateins. Aber selbst zu deren Zeit war jenes klassische Latein eine Kunstsprache. Ciceros private Briefe verraten schon ein wenig mehr vom tatsächlich gesprochenen Latein als seine „klassischen“ Schriften. Blendest du lexikalisch übrigens auch alles aus, was nach Cicero kam? Da würde das Latein ja ziemlich arm, und weiß Gott eine tote Sprache.

»Vom späten Latein im kirchlichen Bereich« kann man eben nicht „absehen“. Die Zeit, von der du da absehen willst, stellt den weitaus größten Teil der Geschichte der lateinischen Sprache dar – sowohl zeitlich als auch von der Textmenge her. Übrigens betrifft das nicht bloß den im engeren Sinne »kirchlichen Bereich«, sondern das christliche Latein schlechthin, und das umfaßte im Abendland nun einmal alle Lebenbereiche.

Ohne jene zweitausend Jahre lebendigen abendländischen Lateins wüßtest du heute vom Lateinischen nicht mehr als vom Gotischen oder Chasarischen.

Die Wendung miserere nobis, um es zu wiederholen, ist durch ihren überaus häufigen Gebrauch – konkret: durch den liturgischen Gebrauch – derart eingeprägt, daß man in irgendeinem christlichen Kontext keinesfalls miserere nostri sagen kann, ohne lächerlich zu wirken. Sicher ist das auf einer Lateinlehrerkonferenz anders, doch wird man dort auch eher selten derartige Wendungen gebrauchen (außer wenn man versehentlich als Schüler dahin geraten ist …).

Meine Bauchgeühl-Einschätzungen der relativen Häufigkeit von Dativ und Genitiv des Objekts bei miserere, wenn dies Objekt das Personalpronomen der ersten oder dritten Person Singular ist, werde ich natürlich nicht belegen. Dazu müßte ich ja umfangreiche statistische Untersuchungen vornehmen. Nein, das sagt mein anhand entsprechender Lektüre gebildetes Sprachgefühl. Lies einfach mal liturgische und generell christliche Texte, dann wirst du vermutlich mein Sprachempfinden bestätigen können. Falls nicht: Irren ist menschlich. :D
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Beitragvon Apollonios » Di 14. Aug 2007, 12:26

Kann es sein, amici, daß hier mit großer Energie über den Vorrang gleichwertiger, aber verschiedener Dinge gestritten wird?
Natürlich wäre es verkehrt, im Zusammenhang mit der Kirchensprache das ursprünglichere miserere nostri zu schreiben. Und bei meiner großen Liebe zum Mittellatein werde ich nicht behaupten, die Kirchensprache sei weniger wertvoll als die Sprache Cæsars und Ciceros. Aber ebensowenig, wie man das Latein der Carmina Burana als vergangen bezeichnen kann, wenn Dutzende von Bands und Tausende von Musiklehrern und -schülern sich ständig damit auseinandersetzen - ebensowenig, wie das Kirchenlatein vergangen ist, solange der CIC die lateinische Sprache benutzt - so wenig ist auch das Klassische Latein vergangen, solange Menschen sich für die Grundlagen europäischer Sprachen und Kulturen interessieren.
Nebenbei wäre ich sehr interessiert an Belegen für den Gebrauch von Dativ und Genitiv in dem strittigen Fall.
וָאֹמַר מִי־יִתֶּן־לִּי אֵבֶר כַּיּוֹנָה אָעוּפָה וְאֶשְׁכֹּנָה ׃
et dixi quis dabit mihi pinnas columbae ut volem et requiescam
ps. 55,7
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Beitragvon consus » Di 14. Aug 2007, 13:01

Blendest du lexikalisch übrigens auch alles aus, was nach Cicero kam?

Davon kann, amici illustrissimi, überhaupt nicht die Rede sein. Hier ging es im Zusammenhang um die klassische consuetudo Latina (wie sie in der Lehre für Stilübungen überwiegend Norm ist). Die lateinische Literatur aller anderen Epochen verdient - das ist wohl selbstverständlich - auch den gebührenden Respekt.
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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Aug 2007, 13:06

Apollonios hat geschrieben:Kann es sein, amici, daß hier mit großer Energie über den Vorrang gleichwertiger, aber verschiedener Dinge gestritten wird?
Natürlich wäre es verkehrt, im Zusammenhang mit der Kirchensprache das ursprünglichere miserere nostri zu schreiben. Und bei meiner großen Liebe zum Mittellatein werde ich nicht behaupten, die Kirchensprache sei weniger wertvoll als die Sprache Cæsars und Ciceros. Aber ebensowenig, wie man das Latein der Carmina Burana als vergangen bezeichnen kann, wenn Dutzende von Bands und Tausende von Musiklehrern und -schülern sich ständig damit auseinandersetzen - ebensowenig, wie das Kirchenlatein vergangen ist, solange der CIC die lateinische Sprache benutzt - so wenig ist auch das Klassische Latein vergangen, solange Menschen sich für die Grundlagen europäischer Sprachen und Kulturen interessieren.
Nebenbei wäre ich sehr interessiert an Belegen für den Gebrauch von Dativ und Genitiv in dem strittigen Fall.


Alles an seinem Ort, finde ich. In Ralfs Zusammenhang ist der Dativ am Platze. Der Schüler dagegen darf bei der Klassenarbeit, die ihm ein Stück Cicero zu übersetzen aufgibt, natürlich seuzen: o Tulli, miserere nostri.

Ein Beispiel mit Dativ (sogar für die 1. Sg., wo m. E. der Genitiv häufiger sein dürfte):

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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Aug 2007, 13:13

consus hat geschrieben:
Blendest du lexikalisch übrigens auch alles aus, was nach Cicero kam?

Davon kann, amici illustrissimi, überhaupt nicht die Rede sein. Hier ging es im Zusammenhang um die klassische consuetudo Latina (wie sie in der Lehre für Stilübungen überwiegend Norm ist). Die lateinische Literatur aller anderen Epochen verdient - das ist wohl selbstverständlich - auch den gebührenden Respekt.


Bei der Stilübung kommt es auch drauf an … auf die Textart nämlich, die ich produzieren will. Orationen zum liturgischen Gebrauch, Sequenzen in Stabat-mater-Strophen, profane Lyrik nach Art des Archipoeta, Hexameter in den Spuren Virgils, Martialische Zoten, philosophische Dialoge, Rechtscanones und -paragraphen … Da muß ich mir je andere Vorbilder suchen.

Generell sollte allerdings der Lateinunterricht erst einmal auf Sprechkompetenz abzielen, bevor man zu fortgeschritteneren Stilübungen schreitet, finde ich. Aber daran hapert es. (Das sehe ich auch an mir selbst. Ohne Gelegenheit zur ständigen Übung wird das nichts … :sad: )
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Beitragvon consus » Di 14. Aug 2007, 14:44

Generell sollte allerdings der Lateinunterricht erst einmal auf Sprechkompetenz abzielen, bevor man zu fortgeschritteneren Stilübungen schreitet, finde ich.


Meine Hervorhebung der Bedeutung der klassischen consuetudo Latina hat nichts zu tun mit dem schulischen Lateinunterricht, in dem übrigens d-l-Übersetzungen meines Wissens auch nicht mehr üblich sind. Die Beherrschung des klassischen Sprachgebrauchs wird i. d. R. von Studierenden der lateinischen Philologie verlangt. Sie sollten ihn sich so aneignen, dass sie auch als Schullehrer/innen später in der Lage sind, sich zumindest einigermaßen stilistisch sicher im Lateinischen auszudrücken. (U. a. kann da unser Forum Latine loquendi eine Herausforderung darstellen.) Im Übrigen gehört diese Debatte eigentlich schon ins Forum "Lateinische Philologie".
Tantum satis est.

----------------------
S. u. a. Ps. 123 (122), 3 (Vulgata): miserere nostri, Domine, miserere nostri. Vermutlich wird man in der (Nova) Vulgata nicht auf "m. nobis" stoßen. Auch im Te Deum heißt es am Ende miserere nostri (liturg. Text). Wirkt das etwa "lächerlich"? Es ist mir nicht verständlich, wie man da schreiben kann: "(miserere nobis)...derart eingeprägt, daß man in irgendeinem christlichen Kontext keinesfalls miserere nostri sagen kann, ohne lächerlich zu wirken".
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Beitragvon Ketelhohn » Di 14. Aug 2007, 20:52

Ich gebe ja zu, daß ich das etwas zugespitzt formuliert habe. Aber aus Sicht des normalen Meßbesuchers, der noch halbwegs regelmäßig an lateinischen Messen teilnimmt, ist das schon so.

Das miserere nobis steht nun mal im Agnus Dei, und das auch noch gleich zweimal. Damit hast du’s zweimal in jeder Messe. Dagegen kommt Ps 122,3 nicht an. Der kommt zwei, drei Mal im Jahr, wenn du das lateinische Brevier betest. Doch da mußt du selbst unter Priestern lange suchen, bis du einen findest, der das tut. Entsprechendes gilt vom Te Deum (wobei der einschlägige Vers hier nur ein angehängter Psalmvers ist, der nicht zum ursprünglichen Te Deum gehört; aber für unser Thema ist das irrelevant).

In der Vulgata findest du übrigens neunmal miserere nostri gegenüber einem einzigen miserere nobis. Kein Wunder, hat ja auch ein Philologe übersetzt. :D Dennoch ist der Dativ recht häufig. Im Buch Ecclesiasticus (Jesus Sirach) findest du zum Beispiel einmal miserere nostri, aber dreimal miserere mit Dativ: miserere plebi tuæ, miserere civitati tuæ – und den dritten Fall hab’ ich jetzt vergessen und bin zu faul, noch mal nachzuschauen, es war aber was ähnliches. Das hat man in der Nova Vulgata übrigens nicht geändert.

Wie auch immer, durch das Vorkommen im Agnus Dei ist die Dativ-Version so eingeschliffen, das ein miserere nostri komisch wirkt (natürlich gilt das nur da, wo man die lateinischen liturgischen Texte noch kennt und pflegt; aber bei Nicht-Lateinern versteht eh keiner was, da kannste auch sagen unus ignis quis vir multum ab audere etc.).

Wenn du übrigens die Psalmen mal nach miserere mei durchsuchst und noch das fili David miserere mei aus dem Evangelium dazunimmst, dann merkst du, wieso es bei der 1. Sg. umgekehrt ist: Trotz der starken Tendenz zum Dativ hielt sich hier überwiegend (aber doch nicht ausschließlich, s. o.) der Genitiv. Die so zahlreichen Stellen mit Genitiv in den Bußpsalmen und der Evangeliumsvers als Grundlage des immerwährenden Jesusgebets haben prägend gewirkt.

P.S.: Mitte Studenten kannste natürlich machen, watte willst. Da misch’ ick mir nich ein.
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Beitragvon juergen » Fr 17. Aug 2007, 17:09

Bei Augustinus gibt es:
1x miserere nobis (als er Mt 20,30 zitiert)
11x miserere nostri

Bei Thomas von Aquin gibt es:
4x miserere nobis
12x miserere nostri


Ein Hoch auf die moderne Computertechnik :roll:
Gruß Jürgen

Achja: meine Übersetzungen sind alle mit großer Vorsicht zu genießen
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