von Prudentius » Mo 19. Sep 2016, 20:23
Das Beispiel "veniendus sum" ist nicht vergleichbar, wenn ich frage, warum "proficiscendus sum" nicht geht; denn intransitive Verben wie venire bilden kein persönliches Passiv; aber intr. Deponentien haben die ganze Reihe des passiven Formenbestands: proficiscor, ..., utor, ..., bei diesen Verben wird also gar kein Unterschied transitiv/intransitiv gemacht; da liegt dann schon so eine Erklärung nahe wie dass das Gerundiv keine eindeutige Diathese hat.
Willimox hat geschrieben:
"Vor allem bei diesem Typ hier
libros legendo discimus
libris legendis discimus
liegen sehr wohl unterschiedliche nd-Formen vor.
Wir sind im Deutschen gezwungen, sie gleich zu übersetzen.
Daraus ist aber - man sieht es - nicht zu schließen, dass
Gerund und Gerundiv "gleich" sind".
"libros legendo discimus":
Dieser Dreierblock hat etzwas Holpriges: alles verschiedene Wortarten, Endungen, keine besonderen Beziehungen; die drei Wörter sind in Kasus, Numerus, Genus (KNG) verschieden; der Block zerfällt in drei Stücke, zusammengehalten durch zwei Rektionspfeile, von discimus zu legendo, Adverbiale im Abl. angebunden, und von legendo zu libros, Objektspfeil. Also das 3. regiert das 2. und das zweite regiert das 1. Das Aufbauschema ist also "3 - 2 - 1", einfache Anreihung.
"libris legendis discimus":
Ganz anders dieser Block: die zweiseitige Kongruenzmarkierung " -is ... -is" lässt eine Untergruppe entstehen, die durch die dreifache KNG-Harmonie etwas Ausgeglichenes, Harmonisches hat. Im Gesamtsatz ist nur die eine Bindung (Abl.) da, wodurch die Untergruppe am Verb hängt; die Dreiergruppe bekommt dadurch eine kompakte Form, Schema (2 - 3) - 1, eine dynamische, abgerundete Einheit.
Ich will damit sagen, der römische Stilist bevorzugte stark die zweite Form gegenüber der ersten; es kam ihm dabei weniger auf Adjektiv/Substantiv und aktiv/passiv an, und mehr auf Formengleichheit in Kongruenz gegenüber Formenverschiedenheit bei Kasusrektionen. Ich denke also, bei der "Gerundivkonstruktiuon" steht gar nicht dieses Gerundiv selber isoliert vor Augen, sondern es geht um Ausdrucksglättung, es geht um den Wortblock, nicht um die einzelne Wortart, die vage bleibt.
Spekulative Grammatik, zugegeben, aber irgendwie wollen wir uns ja die Sache zurechtlegen.