Sapientius hat geschrieben:"Was heißt das konkret?"
Es würde mich schon auch interessieren, wie ein Christ konkret z.B. Nächstenliebe praktiziert.
Als Atheistin ist es mir durchaus gleichgültig, ob es für andere einen rächenden oder einen liebenden Gott gibt. Bei aller erkennbaren Genialität der historisch-theologischen Ausführungen von Mystica frage ich mich dennoch:
Was mache ich mit diesem Wissen? Was macht ein Katholik oder ein Jude mit diesem Wissen? Was machen diese Erkenntnisse mit ihrem Innenleben? Und zwar konkret.
Für mich konkret zählt, dass die Psychologie erwiesen hat, dass positive Verstärkung auf Mitmenschen eine wohltuende, positive Atmosphäre befördernde freundliche aufmerksame Grundstimmung bewirkt, dass die Freude, etwas gemeinsam zu erleben, seelisch erhebend wirkt und sich wohltuend auf die Psyche niederschlägt. Kurz : Eine Humanisierung und Entrohung des Umfeldes, im Weiteren einer Gesellschaft wären die Folge. Auch habe ich Vertrauen darein, dass Dinge sich fügen, weil ich meinen Mitmenschen freundlich, Vertrauen vorschießend entgegentrete.
Andererseits grüble ich auch, wie weit ich mit meiner Hingabe gehen darf und welche Grenzen mir systemisch bedingt, man mag genau dieses Hemmnis gerne Erbsünde nennen, gesetzt sind, ab welchem Moment meine liebevolle, freundliche Zugewandtheit meinen sozialen, finanziellen, gesundheitlichen quasi realen Tod zur Folge hätte. Konkret: Wieviel Zeit widme ich meinen Kindern? Wie nachsichtig bin ich bei anderen, coronabelastet seelisch angeschlagenen Kindern, wie verständnisvoll zeige ich mich gegenüber den Hundehäufchen des Kuschellieblings meiner Nachbarin, den sie zum emotionalen Überleben braucht, aber doch unfähig ist, sich nach seinen Ausscheidungen zu bücken...
Ein Jesus, der sich in Bezug auf verströmende Liebe keine Grenzen gesetzt hat, und durch die Auferstehung welcher Art auch immer diese gewesen sein mag, bestätigt wurde, ließe mich möglichweise an einen christlichen Gott glauben, auch wenn Jesus gerade genau an diesem Umstand der unterlassenen Hilfeleistung zu Grunde gegangen sein mag. Einer hat es einmal vorgemacht, wie ein Himmelreich auf Erden geschaffen werden kann. Denn in Bezug auf dieses Vorleben eines liebevollen Daseins meine ich, dass, würde jeder so handeln, als wäre der andere sein Geliebter oder seine Geliebte im Sinne des augustinischen ama et fac quod vis, Gesetze überflüssig wären. (Was soll vor dem Hintergrund dieses Gedankengangs der Liebestheolge Rahner da auch viel von einem Juristen halten?)
Für einen liebevollen Umgang, für eine friedliche, deeskalierende Gesprächsführung, für ein menschliches Miteinander gibt es seitens der Kommunikationspsychologie Untersuchungen konkret zur Wirkung bestimmter Formulierungen, bietet sich an und lohnt sich die Lektüre Ciceros.
Man könnte zwar, und dieser Einwand liegt nahe, Gesprächstechniken als berechnende Manipulation abtun, man kann aber auch positive Worte, genauer gesagt Worte, mit einem menschen- und lebensbejahenden Wirklichkeitsbezug, als bewusst gesetzte Impulse für eine Wendung von Gesprächen in eine freundliche Tonart betrachten, aus denen aus der anfänglichen Berechnung plötzlich eine innere Beteiligung jenseits der intendierten Betätigung psychologischer Mechanismen erwächst und die authentische und berührende Begegnungen erlauben, in die so mancher die Anwesenheit eines göttlichen Hauchs hineininterpretiert.
Dagegen habe ich noch keinen einzigen theologischen Satz gelesen, der mir konkret aufzeigt, wie ich diese wunderbaren Erlebnisse in Begegnungen herbeiführe. Ich schließe mich also marcus03 an, wenn er auf Konkretheit, genauer gesagt auf Aussagekraft in Bezug auf einen Gegenstand in der Welt jenseits von allgemein passenden Phrasen, derer sich genauso Gedankenleser, Astrologen, einstmals die Faschisten und heute krude Verschwörungstheoretiker bedienen, besteht. Denn beliebig und relativ sind nicht die konkreten Antworten auf die Nöte der Menschen sondern theologische.