Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Mo 23. Mär 2015, 01:08

Es gibt zwar schon Unsicherheiten was die Verortung von niphates und medus angeht, aber man streitet sich in den Kommentaren seit Unzeiten um jeweils nur zwei, maximal drei Optionen.

niphates:
a) entweder der Ararat selbst oder
b) der direkt südwestlich davon der Vulkan Tendürek Dağı.

medus:
a) entweder die Kura bzw. das Flußsystem mit Kura und Aras oder
b) eines der Flüßchen um die Persepolis, d. h. die Kor oder die Pulvar.



Man kann sich dabei auf wenig verlassen, selbst die Originalquellen mit Strabo, Plutarch, Curtius, Horaz usw. sind leider oft voller geographischer Ungenauigkeiten. Ich denke man kommt weiter, wenn man zusätzliche Quellen arabischer oder persischer Literatur findet, die sich dazu äußern.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Zythophilus » Mo 23. Mär 2015, 07:54

Wäre Horaz Geograph, wäre die Kritik, er wäre ungenau, zulässig. Er verwendet Namen von Orten, die der Leser mit der gemeinten Region in Verbindung bringt; besonders bei Medus ist das augenfällig, da der Flussname gleich wie der des Bewohners ist. Weder Horaz noch seine Leser kennen die Orte aus eigener Erfahrung, sie wissen also nicht, welcher Fluss oder Berg wirklich gemeint ist, und hätten es auch nicht auf einer Landkarte nachprüfen können. Der Dichter weiß nur, dass der Ort in dieser Region liegt (oder glaubt, das zu wissen), weil er sich diese Information als poeta doctus beschafft hat.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Mo 23. Mär 2015, 13:54

Ja, das geographische Wissen von so entfernten Gegenden war vage. Das läßt vermuten, daß die Quellen spärlich waren, und Horaz wie auch sein Zeitgenossen Strabo auf demselben Wissenstand waren. Horaz ist nur zwei Jahre älter als Strabo. Sie hatten möglicherweise dieselben Quellen. Die Quellen von Strabo sind ungefähr bekannt, weil er sie selbst nennt. Aber man müßte sie erstmal analysieren. Am einfachsten wäre es wohl mal bei Alexander Demandt, dem renommierten Alexanderforscher anzurufen und zu fragen welche Quellen zur Ortsbestimmung von niphates und medus in Frage kommen und welche zuverlässiger sind als andere.

Z B. hier sind die Quellen Strabos genannt, was dieselben sein dürften, die Horaz hatte:
Strabons Erdbeschreibung in siebenzehn Büchern, Band 1 hat geschrieben:Bei Ariana oder Ostpersien ist Eratosthenes sein [sc. Strabos] Hauptgewährsmann, mit welchem er noch besonders den Nearchus und Onesikritus und einige Andere verbindet. Das eigentliche Persien beschreibt er theils nach eben diesen Schriftstellern, theils nach Aristobulus und Polykletus von Larissa, der eine Geschichte Alexanders geschrieben hatte, und schon im elften Buche beim Kaspischen Meere benutzt worden ist; Einiges auch nach Herodotus und Xenophons Kryopädie.


Aber nochmal zurück zu Strabo, vielleicht muß man nur genau lesen was da steht:
Der Araxes fließt aus dem Land der Paraetaci; und er fließt mit dem Medus zusammen, der seine Quelle in Medien hat.

Das müssen große Flüsse sein, wenn sie aus verschiedenen “Ländern” kommen! Und die Länder sind sogar genannt. Die Paraetaci werden angenommen als die Bergbewohner der Zagros-Gebirge. Daher kommt auch der Karun oder der Chabur als weitere mögliche Deutung des Araxes in Betracht:
1) beide sind lang und breit genug um geographisch und geopolitisch eine Rolle zu spielen
2) beide fließen in den Euphrat/Tigris (= ¿Medus?)
3) wobei dann jeweils Karun oder Chabur aus dem Land der Paraetaci kommen. Und der Euphrat/Tigris aus dem Land der Meder.
4) der Chabur wird bei Xenophon als “Araxes” bezeichnet
Hier wird auch behauptet der Medus sei der Euphrat. Das einzige Problem, an dieser These ist die Aussage Strabos, daß die Flüsse _nahe_ Persepolis sein sollen. (πρὸς αὐτῇ δὲ τῇ Περσεπόλει τὸν Ἀράξην διέβη.) Aber vielleicht muß man das Wort “nahe” relativ zum Abstand Persien-Griechenland auffassen. Hier ein Schaubild dazu:
persien.gif
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Zythophilus » Mo 23. Mär 2015, 16:36

Horaz braucht keine "Quellen" in einem Sinn, wie sie ein Geograph oder auch Historiker braucht. Medus und Niphates liegen etwa in der Gegend, die der Dichter meint, sie mögen sogar im Zuge von Erzählungen über erfolgreiche Feldzüge erwähnt worden sein. Das reicht, falls es nicht von Belang ist, dass Fluss A an einer bestimmten Stelle in Fluss B mündet o.ä. Der Dichter evoziert etwas mit solchen Begriffen, und der Leser, zumindest wenn er eine gewisse Bildung hat, kann es geographisch etwa einordnen. Ein Caesar dürfte natürlich nicht schreiben, er habe den wilden Arar überwunden oder einen kaum bekannten Hügel mit einem exotischen Namen bezwungen.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Mo 23. Mär 2015, 16:51

@Zythophilus Was ich vor allem sagen will ist, daß die Annahme die Bächlein rund um die Persepolis seien der Araxes und Medus des Strabo, nicht haltbar ist, wenn man bedenkt, daß die Flüsse nach Strabo aus unterschiedlichen Ländern kommen!
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Ioscius » Mo 23. Mär 2015, 22:20

Da scheine ich ja eine fruchtbare Diskussion angezettelt zu haben, danke für eure interessanten Antworten!

Tiberis und ich sind (auch) zu dem Schluss gekommen, dass mit den Begriffen keine spezifischen Orte gemeint sind, sondern lediglich die östliche Ferne von Rom betont sein soll (man vergleiche auch die Angaben der Wörterbücher, wonach Ethnika wie "Medi" für ähnliche Völker stehen kann, bei meinem Bspl. Perser, Parther)
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Di 24. Mär 2015, 00:26

Ioscius hat geschrieben:Tiberis und ich sind (auch) zu dem Schluss gekommen, dass mit den Begriffen keine spezifischen Orte gemeint sind, sondern lediglich die östliche Ferne von Rom betont sein soll (man vergleiche auch die Angaben der Wörterbücher, wonach Ethnika wie "Medi" für ähnliche Völker stehen kann, bei meinem Bspl. Perser, Parther)


Wenn das so wäre, warum erwähnt der Dichter (zu streichen, Horat erwähnt freilich keine Details) dann Details, wie daß sich der Araxes mit dem Medus vereinigt? Aus welchen Ländern die Flüsse kommen? Daß sie ein Hindernis darstellen (erst bezähmt werden müssen), usw.? Ich finde es bemerkenswert wie gewissenhaft er seine Beschreibungen spezifiziert, auch wenn er selbst wahrscheinlich wenig Vorstellung davon hatte, was er beschrieb. Man kann das alles symbolisch auffassen, und das ist für uns bequem, weil wir selbst so im Dunkeln tappen. Man kann aber auch nach den wahren Hintergründen fragen.

Und zu der Aussage, daß man mit “Meder” kein genaues Volk bezeichnete: das klingt so, als ob man nicht genau wußte wer die Meder seien, und wo ihre Grenzen sind. Letzteres mag so sein, aber ersteres muß so nicht sein. Die Kurden hatten nie eigene Grenzen. Und doch sprechen wir heute von den “Kurden” und von “Kurdistan”. Selbst wenn durch Herrschaftswechsel und Grenzverschiebungen Kurdistan keine eindeutigen Grenzen hatte.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Tiberis » Di 24. Mär 2015, 02:19

Ioscius hat geschrieben:Tiberis und ich sind (auch) zu dem Schluss gekommen, dass mit den Begriffen keine spezifischen Orte gemeint sind

ich bin da wohl ein wenig missverstanden worden, wie es scheint. :-o
selbstverständlich handelt es sich um geographische bezeichnungen, das steht ja wohl außer streit.
die frage ist nur, inwieweit sich diese namen topographisch zuordnen lassen, und zwar sowohl von den antiken lesern als auch von den heutigen.
Ist der Niphates noch einigermaßen lokalisierbar, gibt es bereits beim fluss Medus die größten schwierigkeiten. ist es der Euphrat, wie es im Pseudo-Plutarch heißt? oder der Medus, der laut Strabon "in der nähe von Persepolis" mit dem Araxes zusammenfließen soll ? beide haben, nebenbei bemerkt, mit Medien nichts zu tun.
und die Geloner ? welcher Römer , selbst wenn er über umfassende bildung verfügte, hätte ihren siedlungsraum auch nur annähernd definieren können? ja, sie waren bekannt als reitervolk, nachbarn der Skythen, aber auch deren gebiet ist territorial nicht abgrenzbar und veränderte sich im lauf der zeit ständig.
man kann natürlich vermutungen anstellen, etwa, dass Horaz mit den Geloni die Skythen selbst meint, die ja eine zeitlang in Medien geherrscht haben. aber all diese vermutungen sind letztlich nichts anderes als philologische kaffeesudleserei. nocheinmal sei gesagt: es geht bei Horaz nicht (!) um geographische exaktheit und wir dürfen nicht davon ausgehen, dass er über besondere geographische kenntnisse jener gegenden verfügte, die er selbst niemals bereist hat. ob ihm die quellen Strabons vorlagen, wie laptop meint, wage ich stark zu bezweifeln. ausgehen kann man davon nicht.
Laptop hat geschrieben: warum erwähnt der Dichter dann Details, wie daß sich der Araxes mit dem Medus vereinigt?

wo wird das denn von Horaz erwähnt??
Laptop hat geschrieben:Ich finde es bemerkenswert wie gewissenhaft er seine Beschreibungen spezifiziert,

auf welche stelle(n) beziehst du diese aussage?
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Zythophilus » Di 24. Mär 2015, 07:59

Wenn die konkreten Ortsnamen mehr als nur das Gebiet umreißen sollen, um das es geht, dann sollten wir Hinweise darauf haben, dass es größere Kampfhandlungen oder ähnliche Ereignisse am Medus oder am Berg Niphates gab, die einem aufmerksamen Leser allein durch die Erwähnung der Namen einfallen mussten. Das scheint freilich nicht der Fall zu sein.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Di 24. Mär 2015, 15:00

@tiberis Meine Aussage Horaz erwähne Details war ein Versehen von mir. Das ist bitte zu streichen.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Prudentius » Di 24. Mär 2015, 16:41

Lieber Laptop,

du solltest die Eigenart dieser Textsorte, mit der wir es hier zu tun haben, berücksichtigen, der "literarischen Gattung", nämlich Lyrik, eine Aufforderung zum Feiern, einen Appell; der Dichter hat gewisse Vorgaben, Vorbilder, und literarische Strömungen (Moden), denen er folgt; eine dieser Vorgaben ist das alexandrinische Vorbild, das ist ja der Leitstern für die gesamte römische Dichtung von Anfang an, besonders auch seit den Neoterikern; eine dieser Eigenheiten besteht darin, das Gewöhnliche, Übliche zu meiden und durch das Erlesene, Ausgesuchte, Kunstvolle oder sogar Gekünstelte zu ersetzen; er konnte gar nicht sagen "Euphrat und Tigris", da musste schon etwas Spezielleres her, etwas, das richtig fremd, von dort ganz weit hinten her klang; Horaz forschte nicht nach den Verästelungen ferner Flußsysteme, sondern wollte den trauernden Bekannten aufheitern; Strabo lag ihm ganz fern.
Ich habe da oben lustig von "Musenkuss" und "Trinken aus der Musenquelle" gesprochen, es war aber ernst gemeint: wir sind nicht bei geographischen Erkundungen, sondern bei einem lyrischen Stimmungegedicht :)

lgr. P.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Laptop » Di 24. Mär 2015, 17:40

@Prudentius Mag sein. Ich habe eine andere Brille aufgesetzt, die der Lexikalik, und die Vokabeln niphates und medus losgelöst von Horaz und einer literarischen Gattung betrachtet. Die Vokabeln tauchen nicht nur in der Dichtung auf, und ich bin der Frage nachgegangen, wie sie geographisch ergründet werden können.
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Re: Übersetzungsfrage zu Hor. carm. 2,9

Beitragvon Prudentius » Mi 25. Mär 2015, 11:10

OK, Laptop :) ; die Horazode ist ja ein seltsames Gebilde, sie knüpft an an die frühgriechische Lyrik mit ihrem Versmaß und ihrer Geselligkeit, an das hellenistische Kunstideal von Alexandrien und gleichzeitig steht sie mitten im aktuellen politischen Geschehen Roms; das bekommt Horaz alles auf die Reihe; er ist also zugleich gebildet, kunstvoll, gesellig-mitfühlend und politisch engagiert.
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